Agent 6
, wo man sie in ein Hinterzimmer führte, während er den Transport nach Peschawar vereinbarte. Nur in Peschawar, der Hauptstadt der Provinz, konnten sie Kontakt mit dem pakistanischen Geheimdienst aufnehmen, dem ISI – Inter-Services Intelligence. Ideologisch stand er dem islamischen Fundamentalismus nah, er gehörte zu den mächtigsten Verbündeten der Mudschaheddin.
Nachdem Fahad gegangen war, schliefen die übrigen drei in wenigen Minuten ein. Ein kleines Feuer wärmte sie, während sie zusammen auf einer grob gewebten Matratze unter einer einzigen dicken Decke lagen. Sie glichen Gestalten aus einem Märchen.
Als Leo aufwachte, nippte Fahad vor dem Feuer an einem Tee, sein langer, schlaksiger Körper steckte unter einer Decke. Er war ein bemerkenswerter Soldat, der sich scheinbar nie ausruhte oder unvorsichtig wurde. Dabei wollte er mit seiner Stärke nicht beeindrucken, sie war keine Angeberei – Leos Meinung interessierte ihn nicht. Als er sah, dass Leo aufgewacht war, bot er ihm süßen grünen Tee an. Leo nahm den Tee und gesellte sich stumm zu ihm vor das Feuer. Es war erstaunlich, dass sie Verbündete waren, aber er würde weitere ungewöhnliche Verbündete brauchen, wenn der ISI bereit sein sollte, eine Verbindung zur CIA herzustellen.
*
Bis sie ihr Ziel erreichten, war es Abend geworden. Leo fand das geschäftige Treiben in Peschawar im ersten Moment befremdlich. Nach den abgeschiedenen, dunklen Tagen in den Bergen und den Stammesgebieten musste er sich erst an den Trubel gewöhnen. Das Millionen teure Heroin, auf dem er geschlafen hatte, würde seinen Preis nur auf den Straßen von Amerika oder Europa einbringen; hier war ein Sack nicht mehr als ein paar tausend Dollar wert. Der Lastwagen rumpelte weiter, sein klappriger Auspuff spuckte schwarze Rauchwolken aus. Leo fragte sich, ob die Drogen wohl einfacher nach Amerika kämen als er selbst.
Sie folgten Fahad durch schmale Nebenstraßen, vorbei an Geschäften und an Abflussrinnen, die von buntem Süßigkeitenpapier verstopft waren, wie von verwehten Blütenblättern nach einem Sturm. Die Stadt unterschied sich deutlich von Kabul, sie war stärker von Kolonialbauten geprägt, von Alleen und verzierten Steinbauten in Altrosa mit Uhrentürmen. Wie in Kabul stach auch hier der Kontrast zwischen alt und neu ins Auge. Jahrhundertealte majestätische Moscheen fanden sich neben modernen Häusern, die aussahen, als würden sie nur mit Mühe ein weiteres Jahr überstehen. Schiefe Telefonmasten ragten wie Unkraut aus dem Boden und trieben Hunderte von Leitungen aus, die schlaff über den Straßen hingen. Verfall und Reichtum kreisten umeinander. Durch den Krieg im benachbarten Afghanistan hatte der Außenposten Peschawar an Bedeutung gewonnen, und ein neuer, hochlukrativer Geschäftszweig hatte sich entwickelt – Spionage, professionalisierte Täuschung.
Fahad brachte sie zu einem Gästehaus für Reisende aus dem Westen, an dessen Seite ein Holzschild mit einer englischen Aufschrift hing:
GOOD NIGHT
LODGE
Im schmalen Flur des Hauses flackerte eine Glühbirne. Auf dem unbesetzten Rezeptionstresen wurden Fässer mit Speiseöl gelagert. Fahad sparte sich die Mühe, auf die Türklingel zu drücken, die auf dem Tresen festgeklebt war. Er ging direkt nach hinten durch, unter einem kaputten Ventilator hinweg, der schlaff und schief wie ein vertrocknetes, ausgesaugtes Insekt in einem Spinnennetz unter der Decke hing. Sie betraten einen kleinen Speisesaal, in dem mehrere eckige Tische vor einer Wand aufgereiht waren, als würden sie auf ein Erschießungskommando warten. Auf den rot-weißen Tischdecken aus Plastik lagen knallgelbe Servietten und dreckiges Besteck mit unzähligen Fingerabdrücken. Die Gäste waren eine Mischung aus zugedröhnten Touristen, verlorenen Seelen, die von zu Hause weggelaufen waren, Abenteurern und Söldnern. Man konnte sie anhand ihrer körperlichen Stärke – oder Schwäche – und ihrer Kleidung auseinanderhalten, sie trugen Lederstiefel, die bis über die Knöchel zugeschnürt waren, oder Flipflops zu bunt lackierten Zehennägeln. Das sowjetische Oberkommando hatte sich Sorgen gemacht, die Mudschaheddin würden mit Drogengeld Söldner aus dem Westen anheuern. Sie waren die Einzigen, denen sie etwas zutrauten, dabei waren die Mudschaheddin die besten Kämpfer, die man sich denken konnte. Für sie war der Kampf eine persönliche Angelegenheit, eine Frage des Prinzips, nicht des Profits, und sie gaben sich nicht mit Söldnern ab,
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