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Agent 6

Titel: Agent 6 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Rob Smith
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Zabi. Sie rief:
    – Fische so groß wie Häuser!
    – Sie heißen Wale. Und sie sind eigentlich gar keine Fische, sie atmen Luft, so wie wir.
    – Warum leben sie denn im Wasser, wenn sie Luft atmen?
    Leo stockte, als er an ähnliche Gespräche mit seiner Tochter Elena als kleinem Mädchen zurückdachte. Die Welt hatte sie fasziniert, sie hatte ständig mehr wissen wollen. Diese endlose Fragerei, über die sich Soja so gerne lustig machte, bewies, wie innig und vertraut sie miteinander waren und mit welcher Neugier Elena die Welt erkundete. Bei Zabi war es genauso. Doch seine eigenen Töchter würden nicht Teil seines neuen Lebens sein. Wenn er Pakistan als Verräter verließ, würde er Elena und Soja nie wiedersehen. Der Gedanke war ihm unerträglich, so unerträglich wie die Vorstellung, er würde den Mord an seiner Frau nie aufklären. Aber wenn er als Deserteur in die Sowjetunion zurückkehrte, würde das seine Hinrichtung bedeuten. Noch beunruhigender war die Möglichkeit, seine Töchter würden bestraft werden, wenn irgendwann herauskam, dass er aus dem Land geflohen war. Sie waren nur so lange sicher, wie man glaubte, Leo wäre bei den Luftangriffen getötet oder von den Mudschaheddin hingerichtet worden. Er musste höchste Geheimhaltung wahren. Er würde ihnen weder schreiben noch sie anrufen können. Falls er krank würde, würde er allein sein. Falls sie krank würden, würde er ihnen nicht beistehen können.
    Statt Zabi zu antworten stand er nur auf. Sie drückte seine Hand.
    – Erzähl weiter vom Meer.
    Leo schüttelte den Kopf:
    – Das reicht jetzt.
    Als er ihr das Haar zurückstrich, fragte Zabi:
    – Warst du schon mal in Amerika?
    – Ich habe einmal versucht, dorthin zu kommen, aber ich habe es nicht geschafft.
    – Schaffen wir es?
    – Wir haben gute Chancen.
    Zabi hörte seine Unsicherheit. Sie ergriff Naras Hand.
    – Und wenn wir es nicht schaffen, bleibst du dann trotzdem bei mir?
    Nara nickte.
    – Ich lasse dich nie allein, egal was passiert. Das verspreche ich dir.
    In ihrer Stimme lag keine Unsicherheit. Nara würde für dieses Mädchen sterben. Leo hoffte nur, dass es nicht so weit kommen würde.

Am nächsten Tag
    Leo stand am Fenster und beobachtete die Straße. Hinter ihm schliefen Zabi und Nara. Die beiden sollten sich ausruhen, aber er konnte kein Auge zutun, seine Nerven waren zum Zerreißen gespannt. Es waren bereits zehn Stunden vergangen, seit Fahad das Gästehaus verlassen hatte. Bald würde der neue Tag anbrechen, und er hatten immer noch nichts von ihm gehört. Wenn Fahad versagte, blieb ihnen noch der Versuch, sich allein nach Islamabad bis zu der amerikanischen Botschaft durchzuschlagen und Asyl zu beantragen, ohne den pakistanischen Geheimdienst als Vermittler. Abgesehen von den Schwierigkeiten der Reise selbst bezweifelte Leo, dass sie eine Vereinbarung ohne Billigung der Pakistaner treffen konnten. Die einzige andere Möglichkeit war die Flucht.
    Er öffnete die Tür und überprüfte den Flur. Er war leer. Als er an die Tür des gegenüberliegenden Zimmers klopfte, kam keine Antwort. Das Schloss war so kümmerlich, dass er den Holzrahmen mit einem Schulterstoß aufbrechen konnte. Er fand im Zimmer weder Koffer noch andere Habseligkeiten. Anders als in ihrem Zimmer bestand die Möglichkeit, durch das Fenster auf die Straße zu gelangen – vom Sims zu dem Schild und von dort zum Boden; schwierig, aber nicht unmöglich. Er lief zurück und weckte Nara.
    – Ich möchte, dass ihr in dem Zimmer gegenüber wartet. Schaltet nicht das Licht ein. Seid ganz leise. Wenn mir irgendwas passiert, lauft weg. Geht nicht nach Islamabad, versucht nicht, die amerikanische Botschaft zu erreichen. Ihr dürft niemandem trauen. Lauft einfach weg.
    Ohne zu widersprechen, hob Nara das Mädchen, das noch im Halbschlaf war, hoch und trug es über den Flur. Sie blieb in der Tür stehen, huschte zurück und küsste Leo auf die Wange, bevor sie das Zimmer betrat und die Tür schloss.
    Leo kehrte in sein Zimmer zurück und setzte sich auf die Bettkante. Dann sah er sich nach etwas um, das er als Waffe benutzen konnte. Er fand nichts, warf aber zufällig einen Blick auf sein Spiegelbild. So ungepflegt und abgerissen vermittelte er nicht gerade den richtigen Eindruck, um sich als wichtige Informationsquelle zu verkaufen. Er strich sich hastig die Haare glatt und wollte gerade in das Badezimmer eine Etage tiefer gehen, als es klopfte.
    Leo stellte sich seitlich neben die Tür und

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