Agent 6
rief:
– Wer ist da?
– Fahad.
Als Leo die Tür öffnete, betrat Fahad zusammen mit zwei Männern in Anzügen das Zimmer. Der pakistanische Geheimdienstoffizier war von beiden der Ältere, er war Ende sechzig, hatte dünnes Haar und einen wachen Blick. Der CIA -Agent war in Leos Alter. Er hatte ein hageres Gesicht, das Weiße in seinen Augen hatte sich gelblich verfärbt. Er war groß gewachsen und hatte einen schmalen, knochigen Körperbau. Während Fahads sehniger Körper Stärke und Gewandtheit ausstrahlte, vermittelte der CIA -Agent nichts davon, seine Erscheinung sprach von einem Leben aus Lesen, Trinken und Intrigen. Zwischen ihnen entstand sofort eine Verbindung, von einem Süchtigen zum anderen, eine wortlose Kommunikation. Im Gegensatz zu Leo waren beide Agenten ausgesprochen gut gekleidet und adrett, mit Jacken und glatt gebügelten Hemden. Keiner der Männer trug eine Krawatte. Bei dem CIA -Agenten wirkte es, als sollte seine akkurate Kleidung die eher dezenten Anzeichen seiner Sucht überspielen. Der pakistanische Agent schien mit ihr auf konventionelle Weise seine Macht und seinen Status ausdrücken zu wollen. Der CIA -Agent schüttelte Leo die Hand.
– Ich heiße Marcus Greene.
Das sagte er in tadellosem Russisch, bevor er in fließendem Dari fortfuhr:
– Wir sollten eine Sprache sprechen, die wir alle verstehen.
Dann schüttelte der pakistanische Agent Leo die Hand, auch er sprach Dari.
– Abdur Salaam. Das ist nicht mein richtiger Name, aber für dieses Treffen genügt er.
Greene lächelte.
– Ich heiße tatsächlich Marcus. Ich bin nicht ganz so zurückhaltend wie mein Freund.
Auch Abdur Salaam lächelte.
– Auf Sie haben es auch keine sowjetischen Agenten abgesehen. Obwohl ich natürlich nicht glaube, dass unser Gast mich töten will. Fahad hat dafür gebürgt, dass es Ihnen ernst ist. Er bürgt selten für jemanden, schon gar nicht für Russen.
Greene ging zum Fenster und warf einen scheinbar unbesorgten, müßigen Blick auf die Straße, bevor er sich auf die Fensterbank setzte, die Beine ausstreckte und den Kniff seines Hosenbeins zurechtzupfte. Er fragte:
– Sie wollen also überlaufen, Leo Demidow?
Seine Stimme klang unverbindlich, Skepsis und Zurückhaltung schwangen in ihr mit. Vor allem klang sie alles andere als begeistert. Leo antwortete vorsichtig:
– Wenn Sie uns dafür Asyl gewähren, nicht nur mir, sondern auch …
Greene unterbrach:
– Richtig, dem Mädchen und der Frau. Wo sind die beiden überhaupt?
– In Sicherheit.
Greene zögerte, Leos Misstrauen war ihm nicht entgangen. Leo fügte hinzu:
– Wir wollen ein neues Leben, alle drei.
Greene antwortete mit einem knappen Nicken, als hätte er diese Bitte schon tausend Mal gehört und wollte rasch auf die angebotenen Informationen zurückkommen.
– Sie sind kein Soldat, oder? Sie sind ein ziviler Angestellter der afghanischen Regierung, ein Berater. Was für Informationen besitzen Sie? Leo antwortete.
– Ich habe sieben Jahre lang für die afghanische Regierung gearbeitet.
– In welcher Eigenschaft?
– Ich habe ihre Geheimpolizei ausgebildet. Bevor das kommunistische Regime die Macht übernommen hat, habe ich ihm geholfen zu überleben. Danach habe ich ihm weiter geholfen zu überleben. Die Mittel und Wege haben sich geändert, die Aufgabe ist die gleiche geblieben.
Greene zündete sich eine Zigarette an.
– Was haben Sie gemacht, bevor Sie nach Afghanistan gekommen sind?
– Ich habe für den KGB gearbeitet.
Greene inhalierte tief und hielt den Rauch im Mund. Fahad wurde ungeduldig, als Soldat war er mit den Feinheiten diplomatischer Verhandlungen nicht vertraut. Er fuhr Leo an:
– Erzähl von den sowjetischen Einsätzen in Afghanistan, nicht vom KGB . Diese Informationen sollst du weitergeben.
Wie ein nervöses Kind zählte Leo alle interessanten Themen auf, zu denen er etwas sagen konnte.
– Ich kenne die technischen Spezifikationen der benutzten Ausrüstung, von Panzern, Hubschraubern, von allem, was im Einsatz ist oder bald sein soll. Ich kenne die Einsatzpläne der 40. Armee. Ich kann Ihnen sagen, mit welcher Mortalitätsrate vor der Invasion gerechnet wurde und wie die Zahlen seit der Invasion bereinigt wurden. Genauso mit den finanziellen Kosten. Ich kenne die meisten hochrangigen Offiziere mit Namen und weiß, wie sie zu dem Krieg stehen. Ich kenne unsere Grenzen, ich weiß, wie viele Soldaten wir verlieren dürfen, wie viel Geld wir bereit sind auszugeben.
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