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Agent 6

Titel: Agent 6 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Rob Smith
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wirklich großartig.
    Der Ladenbesuch war ein Erfolg geworden. Der Funktionär, der schon vorher einen Tee vorgeschlagen hatte, versuchte es noch einmal.
    – Wie wäre es jetzt mit einem Tee?
    Austin schüttelte den Kopf.
    – Was haben Sie denn immer mit Ihrem Tee?
    Die Funktionäre lachten. Austin erklärte:
    – Ich möchte gerne noch mehr sehen. Was kommt als Nächstes?
    Als Nächstes stand ein Besuch der Universität Moskau auf ihrem Plan. Ehe einer der Funktionäre das auch nur vorschlagen konnte, hatte sich Austin schon an Leo gewandt.
    – Haben Sie nicht gesagt, dass Ihr Mädchen Lehrerin ist?
    Verwirrt antwortete Leo zögerlich:
    – Mein Mädchen?
    – Ihre Freundin? Wir haben vorhin über sie gesprochen. Die Lehrerin.  Wäre es nicht großartig, eine Schule zu besuchen?

Moskau
Weiterführende Schule 7
Awtosawodskaja
Am selben Tag
    Leo hielt das Lenkrad fest umklammert. Er war wütend auf Austin, der nicht begriff, in welche Gefahr er Leo gebracht hatte. Der Mann verhielt sich völlig naiv – absolut weltfremd. Weil er seinen Kritikern zu Hause unbedingt beweisen wollte, dass sie unrecht hatten, betrieb er gezielt Sabotage und wischte ihre Pläne mit so unbekümmerter Leichtigkeit beiseite, dass deutlich wurde, wie ahnungslos er dem Regime gegenüberstand, dem er schmeichelte. Es gestattete keine Fehler. Für die Menschen, die diese Reise organisiert hatten, auch für Leo, war sie mit großen Risiken verbunden. Aber Austin war gar nicht in den Sinn gekommen, dass es Konsequenzen haben könnte, falls er irgendetwas sah, das nicht der idealisierten Version entsprach, die er für den Kreml nach Amerika tragen sollte. Seine Versuche, die offiziellen Vorbereitungen zu unterlaufen, waren für ihn kaum mehr als ein Spiel, was man daran sah, dass er auf dem Weg zu Lenas Schule die ganze Zeit vor sich hin pfiff.
    In stummem Entsetzen starrte Leo die Weiterführende Schule 7 an, einen neu gebauten Kasten aus Klassenzimmern auf Betonstelzen. Zum Glück bestand nicht die Gefahr, dass eine Besichtigung des Gebäudes für Probleme sorgen könnte. Die Funktionäre waren sehr erleichtert darüber, dass ihr Gast eine Schule ausgesucht hatte, die sie womöglich auch selbst gewählt hätten. Das Risiko lastete ganz auf Leos Schultern. Er hatte gelogen. Als er Lena als die Frau ausgegeben hatte, die er liebte, war er davon ausgegangen, dass diese Lüge im Gespräch untergehen würde, eine Belanglosigkeit, die man gleich wieder vergaß. Sie hatte ihn vor dem peinlichen Geständnis bewahren sollen, dass er niemanden liebte und auch selbst von niemandem geliebt wurde. Jetzt bereute er seine Dummheit bitter. Wieso hatte er nicht einfach zugeben können, dass er allein lebte? Aus dieser Falle konnte er sich nicht herauswinden. Austin wollte unbedingt eine Schule besuchen, und es sollte eine sein, die man nicht im Vorfeld für ihn hatte herausputzen können. Leo hatte ihm die perfekte Vorlage geliefert.
    Als er aus dem Auto stieg, versuchte er, zum ersten Mal seit fünfundvierzig Minuten einen klaren Gedanken zu fassen. Er wusste, dass sie Lena hieß. Ihren Nachnamen kannte er nicht. Er wusste, dass sie Politik unterrichtete. Aber vor allem wusste er, dass sie ihn nicht mochte. Seine Beine waren so kraftlos wie die eines Gefangenen, der zu seiner Hinrichtung ging. Er überlegte, ob er die Lüge zugeben sollte: Er konnte die Gruppe aufhalten und erklären, dass er Lena nicht kannte. Er hatte eine Beziehung erfunden, weil er nicht einsam erscheinen wollte. Ein klägliches, demütigendes Geständnis. Austin würde es lachend abtun und ihm vielleicht ein paar tröstende Worte über die Liebe sagen. Sie konnten die Schule besichtigen, ohne Lena zu besuchen. Die Funktionäre würden nichts sagen. Aber Leos Karriere wäre damit fraglos zu Ende. Im besten Fall würde man ihn degradieren. Wahrscheinlicher würde man ihm vorwerfen, er hätte absichtlich die Gutgläubigkeit eines wichtigen Verbündeten der Sowjetunion ausgenutzt. Er konnte durch ein Geständnis nichts gewinnen, also war es besser, so lange wie möglich mitzuspielen.
    Es war Mittagszeit, Kinder spielten draußen im Schnee. Leo konnte sich durch sie etwas Zeit verschaffen, indem er Austin vorschlug, er solle sich mit den Schülern unterhalten, während er vorging und Lena suchte. Ein paar Sekunden würden reichen, um sie vorzubereiten. Sie musste einfach nur lächeln, Fragen beantworten und bei seiner Lüge mitspielen. Sie war klug, dessen war er sich sicher. Sie

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