Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Agent 6

Titel: Agent 6 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Rob Smith
Vom Netzwerk:
würde es verstehen. Sie würde improvisieren.
    Als sie durch das Schultor traten, lief Grigori zu ihm. Das war ihre erste Gelegenheit für ein paar Worte unter vier Augen, seit Austin darum gebeten hatte, die Schule zu besuchen.
    – Leo, was ist hier los? Wer ist diese Frau?
    Leo ging sicher, dass niemand in Hörweite war.
    – Grigori, ich habe gelogen.
    – Du hast gelogen?
    Er klang erstaunt, als hielte er Leo für einen Automaten, der zu so etwas Menschlichem wie einer Lüge nicht imstande war.
    – Was diese Frau betrifft – Lena, sie liebt mich nicht. Sie kennt mich kaum.
    – Arbeitet sie denn hier?
    – Ja. Das stimmt zumindest. Glaube ich wenigstens, ganz sicher bin ich nicht.
    – Warum hast du gelogen?
    – Ich weiß es nicht. Es ist einfach passiert.
    – Was machen wir denn jetzt?
    Grigori hatte sich nicht von Leos Dilemma freigesprochen. Er besaß nicht den Instinkt eines typischen MGB -Agenten. Sie waren ein Team. Leo überkam eine Welle der Dankbarkeit.
    – Ich versuche, Lena dazu zu überreden, bei der Lüge mitzumachen. Bleib bei Austin, halt ihn auf, versuch, mir so viel Zeit wie möglich zu verschaffen.
    Als Austin die Schule betrat, kamen die Kinder angerannt und umringten ihn. Auf dem Spielplatz war es still geworden. Weil er zweifellos fürchtete, eines der Kinder, die wahrscheinlich noch nie einen Schwarzen gesehen hatten, könnte etwas Unpassendes sagen, meldete sich ein Funktionär zu Wort. Dabei lächelte er strahlend, um die unterschwellige Drohung zu überspielen:
    – Kinder, ihr bekommt heute sehr wichtigen Besuch. Das ist Jesse Austin, der berühmte Sänger. Ihr müsst unserem Gast zeigen, wie gut ihr euch benehmen könnt.
    Selbst die jüngsten Kinder begriffen instinktiv, welche Gefahr diese Männer darstellten. Austin ging in die Hocke, um eine Frage zu beantworten. Leo hörte nicht, was er sagte. Er war schon zur Tür gegangen.
    Leo betrat das Gebäude. Als er außer Sichtweite war, lief er los, seine Schuhe trommelten schwer auf den glatten Steinboden. Er hielt eine Lehrerin an und packte sie so heftig an den Armen, dass sie erschrak.
    – Wo ist das Büro des Direktors?
    Die Lehrerin starrte nur sprachlos auf Leos Uniform. Er schüttelte sie.
    – Wo?
    Sie zeigte zum Ende des Flurs.
    Der Schuldirektor stand sofort auf, als Leo ins Zimmer stürzte. Der arme Mann wurde mit jeder Sekunde blasser. Er glaubte offensichtlich, er sollte verhaftet werden. Er war schwächlich, Ende fünfzig. Die Lippen hatte er vor Angst fest aufeinandergepresst. Sie hatten nicht viel Zeit.
    – Ich bin Offizier Demidow. Ich muss alles über eine Lehrerin wissen, die hier arbeitet. Sie heißt Lena.
    Der Direktor klang wie ein verängstigtes Kind.
    – Eine Lehrerin?
    – Sie heißt Lena. Sie ist jung, in meinem Alter.
    – Sie sind nicht meinetwegen hier?
    Leo blaffte:
    – Nein, bin ich nicht. Ich bin wegen einer Frau namens Lena hier. Los, Beeilung!
    Bei diesen Worten kam Leben in den alten Mann – jemand anders hatte Probleme, nicht er. Er trat vor den Schreibisch und gab sich so hilfsbereit wie möglich. Leo blickte zur Tür hinüber.
    – Lena, haben Sie gesagt?
    – Sie unterrichtet Politik.
    – Eine Lehrerin namens Lena? Es tut mir leid, da sind Sie in der falschen Schule. Wir haben hier keine Lena.
    – Was?
    – Hier arbeitet keine Lehrerin, die Lena heißt.
    Leo war entsetzt.
    – Aber ich habe ihre Bücher gesehen. Darauf stand der Name dieser Schule.
    Grigori öffnete die Tür und zischte ihm warnend zu:
    – Sie kommen!
    Leo war sich bei der Schule sicher. Wo lag der Fehler? Sie hatte ihm ihren Namen gesagt. Ihr Name! Er war gelogen.
    – Wie viele Lehrer unterrichten Politik?
    – Drei.
    – Ist dabei auch eine junge Frau?
    – Ja.
    – Wie heißt sie? Haben Sie ein Foto von ihr?
    – In den Akten.
    – Beeilung!
    Der Direktor fand die entsprechende Akte und gab sie Leo. Bevor er sie durchsehen konnte, öffnete Grigori wieder die Tür. Austin und die Funktionäre betraten den Raum. Leo drehte sich zu ihnen um.
    – Direktor, ich möchte Ihnen Jesse Austin vorstellen, unseren Gast. Er will eine sowjetische Schule besichtigen, bevor er zurück nach Amerika fährt.
    Der Direktor hatte sich kaum von seinem ersten Schock erholt, als ihn der zweite ereilte – ein international bekannter Gast und eine Gruppe hochrangiger Parteifunktionäre. Der Mann, der draußen schon die Kinder angesprochen hatte, wandte sich jetzt an den Schuldirektor, und wieder

Weitere Kostenlose Bücher