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Agent 6

Titel: Agent 6 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Rob Smith
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locken. Und?
    – Er hatte alle Bitten abgelehnt, deshalb haben sie dieses Mädchen geschickt, eine russische Verehrerin von Jesse Austin. Sie wollen, dass er öffentlich spricht. Die Weltpresse wird dabei sein.
    – Die Weltpresse wird im Saal sein, nicht auf dem Gehweg. Der geheime Plan soll also darin bestehen, dass ein völlig abgetakelter Sänger dem Pöbel auf der Straße etwas über seine Kommunistenfreunde erzählt? Soll er doch! Ist mir scheißegal.
    Yates schüttelte lachend den Kopf.
    – Haben Sie mich wirklich deshalb hierhergeholt, Feinstein?
    – Agent Yates, nach heute Abend wird Jesse Austin berühmter sein als je zuvor, berühmter, als Sie es sich vorstellen können.
    Yates hörte auf zu lachen.
    – Erzählen Sie mir alles.

Harlem
Bradhurst
West 145th Street
Am selben Tag
    Nachts war es genauso heiß wie tagsüber. Die Backsteinmauern, die die pralle Sonne getankt hatten, verströmten langsam die Hitze des Tages, und die Bewohner schmorten die ganze Nacht lang vor sich hin. Vielleicht eine Stunde vor und nach Sonnenaufgang gab es eine Atempause, ein kühler Hauch lag in der Luft, solange die Wände sich nicht aufgeheizt hatten und die Sonne nicht vom Himmel knallte; die einzige frische, erträgliche Tageszeit. Jesse saß auf der Fensterbank und hoffte nicht einmal auf eine Brise. Die Geräusche der spielenden Kinder mit ihren Bällen und den Springseilen, die durch die Luft pfiffen, waren verklungen. Der Muschelwagen verschwand auf ächzenden, verrosteten Rädern quietschend in der Ferne, nachdem der Tagesvorrat verkauft war. Bettler, die sich in der Hoffnung auf etwas Kleingeld einen Platz in der Nähe des Wagens gesucht hatten, schlurften in unterschiedliche Richtungen davon, um einen Schlafplatz oder eine neue Ecke zum Betteln zu suchen. Die Männer, die geschützt vor der Mittagssonne im Schatten Karten gespielt hatten, zogen mit ihren wackligen Klapptischen auf die Gehwege um. Wer tagsüber geschlafen hatte, wurde abends munter. Es wurde getrunken und gekifft und gelacht – der unbekümmerte Teil des Abends, der erste Drink, der erste Joint, dabei herrschte immer gute Stimmung. Der Ärger würde später folgen, der Streit, das Gebrüll, weinende Frauen und auch weinende Männer.
    Jesse sah zu, wie sich die Straße in Dunkelheit hüllte, als die letzten Sonnenstrahlen verblassten. So vertrieb er sich jetzt die Zeit, weil die Austins keinen Fernseher mehr besaßen, sie hatten ihn schon vor Jahren verkauft. Er fehlte ihnen nicht. Sie wollten die Sendungen nicht sehen, die liefen, nicht die Musik hören, die dort gebracht wurde, weil sie den Verantwortlichen misstrauten, die das Programm machten. Das waren Leute, die Jesse mit einem Handstreich vom Bildschirm verbannt hätten. Jesse dachte an die anderen Männer und Frauen, die er vielleicht gekannt und gemocht hätte, wenn der Staat ihre Karrieren nicht zwangsweise beendet hätte. Wie viele Künstler, Musiker, Autoren, Maler waren eingeschüchtert worden? Er wünschte, er könnte sie zusammenbringen, diese verlorenen Seelen, sie alle an seinen Tisch einladen, ihnen einen Drink einschenken, ihren Geschichten lauschen, sich ihre Sorgen anhören und sich über ihr Talent freuen.
    Anna hatte sich für die Arbeit angezogen. Sie hatte die Nachtschicht in einem Restaurant übernommen, das rund um die Uhr geöffnet hatte. Für die Schicht von neun Uhr abends bis neun Uhr morgens meldeten sich nicht einmal jüngere Kellnerinnen freiwillig. Anna sagte, ihr sei diese Zeit lieber, die nächtlichen Zecher würden mehr Trinkgeld geben als die Gäste, die tagsüber zum Essen kamen, und sie würden ihre Teller nie zurückgehen lassen. Anna wartete neben der Tür, sie wollte gehen. Jesse stand vom Fenstersims auf und ergriff ihre Hände. Sie fragte:
    – Hast du dich schon entschieden?
    Jesse schüttelte den Kopf.
    – Ich weiß nicht. Ich weiß es einfach nicht. Ich soll mich vor dem UN -Gebäude auf den Gehweg stellen und eine Rede halten? Nicht dass ich mir zu schade dafür wäre, Anna, aber das ist nicht gerade eine Einladung in den Madison Square Garden. So hatte ich mir das für uns nicht vorgestellt. Ich weiß überhaupt nicht, was ich davon halten soll.
    – Jesse, ich kann mir heute nicht freinehmen, nicht so kurzfristig. Ich muss zur Arbeit.
    – Ich weiß noch nicht einmal, ob ich hingehe.
    Ihr war sichtlich unbehaglich.
    – Denk bitte nicht, dass ich dagegen wäre.
    – Das tue ich nicht.
    – Ich würde dich nie bitten, etwas nicht zu

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