Agent 6
Dann gehe ich sofort und entschuldige mich dafür, dass ich Ihnen Ihre wertvolle Zeit gestohlen haben. Sie haben sicher alle Hände voll zu tun, um Ihre Reisen zu verkaufen.
Yates stand auf und ging Richtung Tür. Osip rief ihm nach:
– Warten Sie!
Seine Stimme klang jämmerlich. Yates wandte sich langsam um, auf den Lippen ein giftiges Lächeln.
Osip versuchte schnell einzuschätzen, mit welchem Typ Mensch er es zu tun hatte. Er hatte auf einen diensteifrigen, sachlichen Agenten gehofft, dieser wirkte aufgebracht und wütend:
– Sind Sie schwul, Mr. Feinstein? Meiner Erfahrung nach sind Kommunisten entweder schwul, Neger oder Juden. Ich weiß, dass Sie Jude sind. Dass Sie kein Neger sind, sehe ich. Aber Schwule kann ich nicht so leicht erkennen. Sicher, es gibt vielleicht auch andere Kommunisten, aber diejenigen, die sich nicht schämen aufzustehen und zu sagen: ›Ich bin stolz, Kommunist zu sein‹, sind immer Schwule, Neger oder Juden.
Yates zog an seiner Zigarette, dann atmete er aus und deutete mit der Kippe auf Osips Brust.
– Ich habe Ihre Karriere voller Interesse verfolgt, Mr. Feinstein. Wir wissen schon seit geraumer Zeit, dass dieses Reisebüro nur Tarnung ist. Halten Sie uns etwa für dumm? Und die Spione, die Sie uns schicken? Die haben wir reingelassen. Warum? Weil wir sicher waren, dass sie das gottverdammte kommunistische Dreckloch, aus dem sie gekommen sind, ganz schnell vergessen, wenn sie erst einmal in diesem Land leben, in einem schönen Haus wohnen, ein nettes Auto fahren und gutes Essen auf dem Tisch steht. Sie würden zu uns halten, weil unser Leben besser ist als eures. Und wissen Sie was? Wir hatten recht. Wie viele Leute haben Sie mit ihren Familien herübergeholt, etwa dreihundert?
Die genaue Zahl lautete dreihundertfünfundzwanzig. Yates spottete:
– Wie viele haben Ihnen irgendwas Vertrauliches verraten? Wie viele haben Ihnen auch nur eine kleine Information oder eine einzige Blaupause gegeben?
Obwohl er Yates nicht traute, gab es kein Zurück mehr. Osip musste die Sache durchziehen.
– Agent Yates, ich habe die Sowjetunion verlassen, weil ich Angst um mein Leben hatte. Für dieses Regime habe ich nichts übrig. Ich habe nur für die Sowjetunion spioniert, weil ich damals keine andere Arbeit in New York gefunden habe. Ich hatte Hunger. Es war mitten in der Zeit der Weltwirtschaftskrise. Die KPUSA hatte Geld. Ich nicht. Das ist die Wahrheit. Nachdem ich beigetreten war, gab es kein Zurück mehr. Ich war als Kommunist abgestempelt. Also musste ich mich wie einer benehmen.
Die Männer und Frauen, denen ich Visa beschafft habe, hätten nie wirklich zu Spionen getaugt. Es waren Menschen, die in Gefahr schwebten, Wissenschaftler und Ingenieure. Sie hatten Angst um ihr Leben und um ihre Kinder. Ich habe nie damit gerechnet, dass sie wirklich spionieren würden. Ich habe nie erwartet, dass sie mir auch nur eine klitzekleine Information geben würden. Ich habe diese Leute mit dem Geld der Sowjets in Sicherheit gebracht und dabei so getan, als wollten wir amerikanische Universitäten oder Fabriken oder sogar das Militär infiltrieren. Das ist die Wahrheit. Mein Erfolg misst sich nicht daran, wie viele Spione ich rekrutiert habe, sondern an den Leben, die ich retten konnte.
Yates drückte seine Zigarette in einem Aschenbecher aus.
– Das ist eine interessante Geschichte, Mr. Feinstein. Sie klingen ja wie ein amerikanischer Held. Wollen Sie das damit sagen? Soll ich Ihnen auf die Schulter klopfen?
– Agent Yates, ich will nicht mehr als sowjetischer Agent arbeiten. Ich möchte für die amerikanische Regierung arbeiten. Indem ich das sage, bringe ich mich in schreckliche Gefahr, deshalb haben Sie keinen Grund, mir nicht zu glauben.
Yates trat näher an Feinstein heran.
– Sie wollen für die amerikanische Regierung arbeiten?
– Bitte, Agent Yates, kommen Sie mit. Ich kann Ihnen beweisen, dass ich es ernst meine.
Osip führte Yates in die provisorische Dunkelkammer und zeigte ihm die Fotos von Jesse Austin. Erst jetzt bemerkte Osip, dass Yates aus Angst vor einer Falle seine Pistole gezogen hatte. Mit der Waffe in der Hand fragte Yates:
– Warum haben Sie die Fotos geschossen?
– Sie gehören zu dem Plan einer sowjetischen Abteilung, die sich SERVICE.A nennt. Die Russen wollen die Konzerte für ihre Zwecke ausnutzen. Sie haben Jesse Austin gebeten, heute Abend vor dem UN -Gebäude eine Rede zu halten.
– Sie versuchen schon seit Monaten, ihn dorthin zu
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