Agent der Sterne
Sie erklärte, dass jeder, der mit den Deutschen zusammenarbeitete, die Vernichtung der Juden unterstützte. Als ihr Ehemann sich ihrer Anweisung widersetzte und einem Rat beitrat, warf Rachel ihn aus dem Zimmer, das sie gemeinsam mit ihren Eltern, ihrem Bruder und dessen Frau bewohnte.
Dann zog sie eine Organisation auf, die an den Räten vorbei operierte, und geriet wiederholt in Konflikt mit den offiziellen Erlassen. Zusammen mit einem jungen Polen, der Gerüchten zufolge auch ihr Liebhaber war, betrieb sie einen Schwarzmarkt und schaffte es irgendwie, Fleisch und Süßigkeiten aufzutreiben, während die Deutschen nur Steck- und Runkelrüben ins Getto liefern ließen. Als die Nazis die Judenräte aufforderten, »Freiwillige« für die Deportationen zu suchen, machte sich Rachel verzweifelt daran, ihren Nachbarn Arbeit in Rüstungsfabriken zu besorgen oder sie zu verstecken. Damit konnte sie den Strom des Todes vom Getto in die Lager verzögern, aber letztlich nicht aufhalten. An der Seite der verbliebenen Juden kämpfte sie zwei Wochen lang während des Getto-Aufstandes, als eine der wenigen noch nicht deportierten Frauen. In der dritten Woche versuchte sie wider alle Vernunft, mit ihrem jungen Polen aus dem Getto zu fliehen. Sie schafften es tatsächlich, wurden dann jedoch von einem der »Freunde« des Polen verraten. Er wurde erschossen, sie nach Treblinka geschickt.
Von April bis Anfang August leistete Rachel Zwangsarbeit im KZ. Am 3. August entschied man, dass sie nicht mehr benötigt wurde. Sie wurde auf die Straße nach Treblinka II geschickt, wo sich die »Badehäuser« befanden. Diese waren mit großen Dieselmotoren verbunden, die Kohlenmonoxid hineinpumpten – ein tödliches, aber nicht sehr effizientes Gas. Normalerweise dauerte es fast eine halbe Stunde, bis die mehreren Hundert Menschen, die man in die »Duschräume« eingesperrt hatte, gestorben waren. Es war ein langwieriger und schrecklicher Tod, und allein in diesem Lager starben zwischen 700.000 und 900.000 Juden auf diese Art und Weise.
Am 3. August jedoch kam es in Treblinka II zu mehreren überraschenden Todesfällen. Ein SS-Offizier und mehrere Wachmänner wurden von einigen der Juden getötet, die im Lager arbeiteten, die die Hinrichtungen durchführten, die Leichen nach Goldzähnen und anderen Wertgegenständen absuchten und sie dann zu den Massengräbern transportierten. An jenem Tag hatten sich die Juden zu einer Revolte entschieden, die zwar letztlich erfolglos blieb, aber zweihundert Juden ermöglichte, im Chaos aus dem Lager zu fliehen – darunter auch Rachel. Die meisten Entflohenen wurden bald wieder eingefangen oder getötet. Aber nicht Rachel. Sie wandte sich nach Norden und gelangte schließlich nach Schweden. Nach Kriegsende emigrierte sie von dort in die Vereinigten Staaten.
Rachels Geschichte wäre schon bemerkenswert genug, wenn sie an dieser Stelle zu Ende gewesen wäre. Aber nachdem sie in Amerika eingetroffen war, musste sie zu ihrem Entsetzen feststellen, dass ihr neues Heimatland, das im Krieg für die Freiheit Europas gekämpft hatte, mit den Schwarzen nicht viel besser umging wie die Deutschen mit den Juden. Sogar einige Gesetze waren praktisch identisch – keine gemischtrassigen Ehen, getrennte Schulen und öffentliche Dienste und Gewaltakte, die entweder ignoriert oder aktiv von jenen geduldet wurden, deren Aufgabe in der Wahrung von Recht und Ordnung bestand. »Es verbergen sich schwarze Hemden unter den weißen Gewändern«, schrieb sie später.
Also tat sie etwas dagegen. Sie besuchte noch einmal die juristische Fakultät und machte ihren Doktor der Rechtswissenschaft. Und am nächsten Tag fuhr sie mit dem Bus nach Montgomery in Alabama, dem Herz des Dixielands. Dort eröffnete sie eine Kanzlei, in der eine jüdische Anwältin Rechtsberatung für schwarze Landpächter und Fabrikarbeiter anbot. Während des ersten Monats wurden zwei Brandanschläge auf ihre Kanzlei verübt. Im nächsten Monat fuhr jemand im Auto vorbei und jagte eine Kugel durch das Fenster. Sie prallte von der Wand ab und traf sie ins Bein. Rachel begab sich zum Krankenhaus, um die Kugel entfernen zu lassen, doch in der Notaufnahme wurde der »niggerliebenden Jüdin« die Behandlung verweigert. Rachel zog sich die Kugel kurzerhand selber aus dem Bein und warf sie dem Notarzt auf den Schreibtisch, um die Klinik aus eigener Kraft wieder zu verlassen. Danach verklagte sie das Krankenhaus und den Arzt. Sie gewann. Und wieder landete eine
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