Agenten - Roman
eine Gattung, die sich nur im Hunsrück vermehrt.«
»Gut, Meynard, wenn du recht hast, dann gebe ich dir eine Chance.«
Immer, wenn eine Gelegenheit da war, tauchte ich bei Blok auf. Am günstigsten waren die schulfreien Samstage, ich nahm schon am Freitagabend den Bus, stieg in Mainz um, fuhr mit dem Zug über den Rhein, vom Wiesbadener Bahnhof aus waren es noch fünf Minuten zu Fuß. Die Fahrt versetzte mich in Spannung, es war wie ein leichtes Fiebern, ein reger, immer lebendiger werdender Tagtraum. Ich hatte nie bestimmte Erwartungen, gerade das stimulierte; unterwegs war ich gut gelaunt, wie in früheren Zeiten vielleicht einer, der auf lange Wanderschaft ging. Ich trat aus dem Bahnhof, und das matte Lichterflimmern lag vor mir. Ich ging an einem langgestreckten Park entlang, in dessen abgegrenzten Nischen die Schwulen ihre Verabredungen trafen, ich bog in die verkehrsberuhigte Zone der Adolfsallee ein, wo die Bewohner aus der Nähe ihre Hunde ausführten und an warmen Tagen mit gleichmütigem Blick auf den Bänken saßen. Ich drückte auf die Klingel, die Haustür öffnete sich, und dann ging es hinauf, zielstrebig, in raschen Sätzen, um
die Vorfreude etwas abzudämpfen, bevor ich Bloks Zimmer betrat.
Wir rauchten zwei oder drei Zigaretten, das Nikotin animierte. Wir hatten einen großen Vorrat an Nachrichten im Kopf, der ganze Stoff einer Woche wollte geordnet und in seinen Hintergründen studiert sein. Ich rollte meinen Schlafsack auf einer Matratze aus, klopfte meine Taschen nach dem Notwendigsten ab, dann ging es hinaus.
Meist wollten wir am ersten Abend nicht weit laufen. Gedanken an Veranstaltungen beschäftigten uns nicht. Wir dachten an unsere Geschichten und all die während der Woche nicht zu Ende gebrachten Phantasien. Auch die Nähe von anderen, wie sie sich in den üblichen Treffs meist ergab, hätte uns nur gestört. Wir suchten nichts als einen Platz, wo man uns in Ruhe ließ und es nicht allzu lange dauerte, bis das nächste Bier vor einem stand. So etwas war nur in wenigen Kneipen möglich; die meisten waren durch den Lebensstil ihrer Gäste geprägt, und deren Festhalten am Ideal einer geschlossenen Gesellschaft wirkte penetrant und machte auf die Dauer nur aggressiv. Wir wollten irgendwo am Rand sitzen, unbeobachtet, nicht einzuordnen, niemandem Beweise unserer kostbaren Haltung zu den Themen der Welt schuldig.
Ein geeignetes Lokal war das Dortmunder. Es gab dort den ganzen Tag warme Küche, und zu den Essenszeiten war es so voll, daß man meist keinen Sitzplatz bekam. Es lief unter der Rubrik gutbürgerlich , und entsprechend war die auseinanderklappbare Speisekarte aufgemacht, mit geschnörkelter, altdeutscher Schrift und mit antiquiert wirkenden, an Großmutters Küche orientierten Wendungen, die die Speisen viel zu
ausführlich beschrieben. Jugend war kaum unter den Gästen; die meisten kamen nur kurz vorbei, um nach dem Einkauf etwas zu essen, nichts Fürstliches, sondern etwas, das man wiedererkannte wie ein Zitat. Das Dortmunder hatte gleich hinter dem Eingang zur Rechten eine kleine Theke, dort suchten wir uns zwei Plätze; man konnte von seinem Hocker aus gut in die Runde schauen, der große Raum war umständlich unterteilt, ihm folgte ein zweiter, viel gehobener in der Einrichtung, mit weißen Tischdecken und dem üblichen Wohnzimmerambiente.
Im Dortmunder schenkte man Kölsch aus, schnell gezapft, in Gläsern zu 0,2 und 0,4 Liter. Wir hatten selten Geduld für das kleinere Maß, obwohl uns klar war, daß man mit dem größeren gegen die Kneipenregeln verstieß. In diesen Stunden kam es nicht darauf an, wir wollten reden und zügig trinken, und die Bedienung hinter dem Tresen behielt die Gläser genau im Auge, so daß keine lästigen Unterbrechungen auftraten. Wir tranken Kölsch lieber als jedes andere Bier, denn es wurde einem nicht leid und schmeckte noch nach dem zehnten Glas ganz unverwelkt frisch. Viele andere Sorten machten nur dumpf und hatten einen bald in der Zange, man trank mit der Zeit gegen einen Widerstand an, so etwas hatte mit plattem Saufen zu tun. Saufen aber war eine spießige Anstrengung, ein Aufbieten von zähen Kräften, moralisch und selbstquälerisch. Wir jedoch tranken aus Lust, jeder Schluck forcierte das Feiern und ließ uns nicht müder, sondern schwungvoller werden. Das Trinken war die angenehme Begleitung der Unterhaltung, wir wären nie auf den Gedanken gekommen, alleine zu trinken, es sei denn, um sich in einer Einsamkeit wohler zu
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