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Agenten - Roman

Agenten - Roman

Titel: Agenten - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: btb Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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Sarah war nun auch in die Oberstufe gekommen, und sie pflegte noch immer ihre wenig amüsanten Spleens. Sie hatte sich das lange Haar abschneiden lassen und legte ein reges Interesse für biologische Details an den Tag. Ihr Sammlerblick berauschte sich an Pflanzen, und sie entwickelte einen strengen botanischen Ehrgeiz, der dazu führte, daß sich ihr Zimmer in ein muffiges Herbarium verwandelte. Sie hatte Mutter ganz auf ihre Seite gezogen, und die beiden schwärmten von gesunder Ernährung, bequemer Kleidung und einem naturverbundenen Dasein. Gemeinsam gingen sie nun den Küchenplan durch und räumten die Zimmer um, so daß wir beinahe wie in einer Wohngemeinschaft lebten, in der jeder für gewisse Aufgaben zuständig war, seine Eigenheiten aber dem Ideal einer harmonischen Symbiose unterordnen mußte. Wenn
Sarah und Mutter dieses Ideal auf ihre schwesterliche Beziehung beschränkt hätten, hätte ich mich wenig darum gekümmert, obwohl mir ihre betuliche Fürsorglichkeit zuwider war. Statt dessen jedoch sollte ich mich laufend vor ihrem Tribunal verantworten und Rechenschaft darüber ablegen, wofür ich mein Geld ausgegeben und wem ich mit dem unbedachten Einkauf einer falschen Kaffeemarke geschadet hatte. Ich konnte nicht verstehen, warum ein Randgebiet wie das der Ernährung soviel Aufmerksamkeit verdiente; zu jedem Brokken, den man zu sich nahm, gehörte nach Sarahs Verständnis ein besonderes Bekenntnis. Ich machte mir nichts aus Schrotbreipudding, und ich bezweifelte hartnäckig, daß man gesünder lebte, wenn man tagelang mit Verstopfungen zu kämpfen hatte. In meinen Augen war man völlig heruntergekommen, wenn man Zeit an diese Leibesmechanik verschwendete. Was dabei herauskam, war letztlich nur ein ganz und gar tierischer Blick, der höchstens zur Mastochsenhaltung taugte.
    Sarah jedoch rechnete so etwas zur Körpererfahrung. Sie sprach häufig davon, daß der Körper auf Fragen antworte, und wenn ich ihr vorhielt, daß man solche Zwiesprache allenfalls von alten Leuten erwarte, wurde sie zornig. Nur im Zorn war sie maßlos; insgeheim wurde sie vielleicht von einer verzehrenden Sehnsucht nach Deftigem, Grobem getrieben, und so gab ich ihr reichlich Gelegenheit, diese Sehnsucht wenigstens mit Worten zu stillen. Mutter tat bei solchen Aussprachen entsetzt; sie wollte mich mit faulen Kompromissen ködern und brachte gern den Begriff der Synthese ins Spiel. Es war ein verdächtig labiler Begriff, und meist mußte er für etwas Formloses herhalten. Ein vernünftiger Mensch konnte mit einer Synthese aus Körper und Geist nichts anfangen,
er beschmutzte nicht einmal die Lippen mit einem so dreisten und offensichtlichen Unsinn; doch gerade solche kalifornischen Wortmätressen übten eine nachhaltige Wirkung aus, gegen die meine sezierende Sprache schwer ankam. Sarah und Mutter hatten es aufgegeben zu denken; sie standen unter dem Einfluß kleinmütiger Gurus, und wer die Worte solcher Leute nicht rücksichtslos entlarvte, mit dem hatte ich längst gebrochen. So lebte ich in der Familie wie ein feindlicher Partisan, der seine Ziele nur allein verfolgen konnte. Vater konnte ich nicht als Verstärkung betrachten; er war noch immer ein begriffsstutziger Single , der Geistesabwesenheit vortäuschte, um von niemandem behelligt zu werden.
     
    Da ich mir ein Ventil für meinen Verdruß wünschte, war ich in die Redaktion der Schülerzeitung eingetreten. Es handelte sich um ein sechsmal im Jahr erscheinendes Blättchen, das von den Schülern in eigener Verantwortung herausgegeben wurde. Alle vierzehn Tage fand eine Redaktionskonferenz statt, und Paul, der wie beim Sport auch hier das Sagen hatte, leitete die kleine Runde wie ein Profi, der jeden zu Wort kommen ließ, aber nie den Überblick verlor. Während der Diskussion machte er sich Notizen in Steno, die er in klug ausgespürten Intervallen zu einem Potpourri zusammenfügte. Wenn man ihm zuhörte, kamen einem alle Themen wie mühsam durchgeblätterte Meinungsannoncen vor, unauflöslich miteinander verklebt, abgestanden und charakterlos. Ich versuchte, die anderen von ihrem hilflosen Grapschen nach den bekannten apokalyptischen Bildern in Breitwandformat abzubringen, aber Paul beharrte auf diesen ethisch durchtränkten Artikeln, weil angeblich jeder danach verlangte. Gerade in der Provinz mußte man beweisen, daß man sich nicht abhängen
ließ, und die gewiefte Art, mit der Paul jedes Thema zu einem schweren Lastpaket verschnürte, machte Eindruck und erzeugte einen

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