Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Agenten - Roman

Agenten - Roman

Titel: Agenten - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: btb Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
Vom Netzwerk:
jahrelang nebeneinander und machten gemeinsam die Übergänge zwischen den frühen Altersstufen mit, so lange, bis Blok immer langsamer wurde und eine Klasse wiederholen mußte. Blok war Franks Nachname, er wollte, daß man ihn so anredete, weil sein Vater nur Frankie gerufen wurde und ihm dadurch zu nahe kam. Frankie war ein weithin bekannter Landarzt, er war viel mit dem Wagen unterwegs und erleichterte sein schlechtes Gewissen, indem er seine Frau zu zweitägigen Wochenendtrips nach Berlin einlud,
Flug und Opernbesuch eingeschlossen. Man erkannte ihn schon von weitem an seinen karierten Hemden im Country-style , dazu trug er einfarbige, breit auslaufende Krawatten; in der Früh machte er sich auf seine Jogging-Runde, immer derselbe Kurs quer durch das Wäldchen hinter dem Bungalow, den er nach und nach mit spanischen Möbeln eingerichtet hatte. Frankie gab in der Familie den Ton an, er hatte eine weiche, sich in der Tiefe einpendelnde Stimme, die ihn selbstbewußt und sympathisch erscheinen ließ. Blok hielt es in seiner Nähe nicht aus; all diese zielstrebig angegangenen Aktivitäten – Testfahrten mit den neuesten Automodellen vom befreundeten Händler aus der Kreisstadt, Urlaubssafaris in Kenia im Kollegenkreis, Zelten im Hochgebirge zu den widernatürlichsten Zeiten – wirkten nur lähmend auf ihn, so daß er selbst die Ferien am liebsten ohne ihn verbracht hätte. Die Mitschüler verstanden ihn nicht; sie bewunderten seinen Vater oder hätten ihren eigenen gern gegen ein solches Mannsbild eingetauscht, weil sie nicht ahnten, was es bedeutete, einen auf Hochtouren laufenden Motor schon zum Frühstück neben sich zu haben. Von all dem aber wußte ich lange nichts, denn die Freundschaft mit Blok brauchte Zeit, und er machte es einem nicht leicht.
     
    Ich hatte ihn in der Tertia kennengelernt, als Vater die gutgehende Rechtsanwaltskanzlei in der Kreisstadt übernahm. Wir hatten auch zuvor auf dem Land gelebt, Vater hatte sich als Notar versucht, doch wir hatten es nicht einmal zu einem eigenen Haus gebracht, so daß ich mir mit Sarah, meiner Schwester, das Kinderzimmer hatte teilen müssen. Sarah war zwei Jahre jünger als ich, sie hatte alles, was sie auftreiben konnte, gesammelt, widerlich zerzaustes Zeug von der Straße,
das sie in Einweckgläsern aufbewahrte. Nachts hatte sie die Gläser wegen des aufdringlichen Ölgestanks vor das Fenster gestellt, manchmal war es mir zuviel geworden, und ich hatte die ganze Batterie abgeräumt, ohne Erfolg, weil Sarah ihre Leidenschaft fortgesetzt hatte, unermüdlich wie ein auf ekelhafte Gegenstände angewiesenes Tier, das seine Wintervorräte anlegt. In der Kreisstadt machten wir erste Fortschritte; wir zogen in ein kleines Reihenhaus, und von da an konnte Sarah ihre Brut unter dem Bett hüten, denn wir hatten nun getrennte Zimmer und kamen uns nicht länger in die Quere.
    An unserem ersten Schultag hatte Vater uns mit dem Wagen zum Gymnasium gefahren, und der Direktor hatte mich persönlich zu meiner Klasse gebracht. Der Tag hatte mit Deutsch begonnen, und ich war auf den einzigen freien Platz gesetzt worden, neben Blok, der ein Gesicht gezogen hatte, als werde ihm übel, weil man ihm etwas Raum gestohlen hat. Ich war nach meiner alten Penne gefragt worden und danach, was wir dort zuletzt durchgenommen hätten, und ich hatte die Ballade von John Maynard aufgesagt, John Maynard war unser Steuermann, aushielt er, bis er das Ufer gewann. Von da an hatten mich alle Maynard genannt, sowas verdankt man Fontane, doch ich hatte den Spitznamen angenommen und mich schließlich selbst so getauft, nur mit ›e‹, um nicht alles ohne Gegenwehr mitzumachen. Meynard war ein guter Name, er klang nach etwas Eigenständigem, ich habe ihn bis heute beibehalten.
     
    Damals saß Blok da wie ein Fremder. Er hatte dichtes, schwarzes, rechts gescheiteltes Haar, so sauber kurz geschnitten, als werde er zu einem Spezialfriseur geschickt. Er trug Pullover, fein gestrickt und weit, duftend nach Weichspüler, dazu blank
polierte Schuhe, wie von einem Butler gepflegt. Er meldete sich nie, saß mit eingezogenem Kopf in der Bank und schaute nur auf, wenn etwas an die Tafel geschrieben wurde. Er blieb stumm, tat, als gebe es mich nicht, und führte seine Hefte so ordentlich, daß ich oft hinschauen mußte. Er benutzte Buntstifte, Marke Faber-Castell , zwanzig verschiedene, nebeneinander liegend in einer dunkelgrünen Blechschachtel, und er schrieb mit einem alten Füller, einem Pelikan mit

Weitere Kostenlose Bücher