Agnes Bernauer - Hexe Hure Herzogin
Fleisches und ihrer Seelen ließ sich erst durch die totale Erschöpfung stillen. Eng miteinander verschlungen, noch immer, sanken sie in den Schlaf; draußen begannen zu dieser Stunde bereits zaghaft die Vögel zu zwitschern.
Durch das Glockenhämmern zur Mittagszeit erwachte Albrecht von Bayern-München; sein erster Blick galt der Geliebten. Vorsichtig richtete er sich auf dem einen Ellenbogen auf, ganz behutsam, um sie auf keinen Fall zu stören, dann betrachtete er sie lange; mit seinem ganzen Sein versenkte er sich in die Landschaft ihres Antlitzes. Im Schlummer sah sie wie ein Kind aus, etwas zutiefst Unschuldiges schien weich und zart wie Rötel über ihren Zügen zu liegen. Etwas ungemein Verletzliches auch, das beschützt und behütet werden wollte, und fast unwiderstehlich befiel den mittlerweile siebenundzwanzigjährigen Herzog das Bedürfnis, ihre Wangen in seinen Handschalen zu bergen und sie auf diese Weise sorglich durchs Leben zu führen; auf immer. Gerade als er dies dachte, schlug Agnes die Augen auf; wie durch Magie verwandelte das kindliche Gesicht sich in das frauliche – und dann tat sie mit ihm, was er sich soeben umgekehrt gewünscht hatte: Die Blonde hüllte sein Antlitz ein in ihre Handwärme und ließ ihn tief eintauchen in ihr Lächeln und schenkte ihm wiederum Frieden.
Später am Tag, nachdem er sich mithilfe eines Goldstücks der Verschwiegenheit des Baders versichert hatte, entführte Albrecht die Geliebte ins Grüne. Durchs nördliche Tor – völlig ungeschoren, nichts als ein schäkerndes Pärchen in den Augen der Wachen – verließen sie die Stadt, liefen Hand in Hand ins Auenland zwischen Lech und Wertach hinaus. Immer nur im Dunst der Badstube oder im Zwielicht in der Kammer hatte der Wittelsbacher bisher die Blonde gesehen; jetzt, unterm klaren Maihimmel, veränderte ihr Erscheinungsbild sich in seinen Augen neuerlich. Im reinen Einklang mit der Natur, mit den Blumen, den Grasrispen, den Erlenbüschen und der Erde selbst, schritt, tanzte oder tändelte sie; es war etwas unendlich Sauberes und Klares an ihr, sie schien ihre verachtete und niedrige Herkunft hier draußen abgestreift zu haben wie eine Haut, die in Wahrheit gar nicht zu ihr gehörte. Etwas ganz Ähnliches hatte Albrecht jedes Mal in ihrer Umarmung gespürt, doch war dies noch ein eher unbewusstes Begreifen gewesen; nunmehr aber, da er nichts als ihr Da-Sein in der Schöpfung sah, wurde sein Verstehen sehr tief. Was sie ihr Eigen nennt, habe ich bisher höchstens erahnen können, dachte er fast erschrocken; ich habe nicht gewusst, wie unglaublich intensiv ein Mensch leben kann; sie ist es, die es mir zeigt …
Immer weiter ließ er sich unterm samtigen Firmament leiten und führen von ihr, scheinbar ziellos und dennoch einem Ziel entgegen; irgendwann dann erreichten sie die schilfumflüsterte Landzunge, vor der Lech und Wertach sich vereinigten. Ein Baumstrunk lag dort, vor langer Zeit angeschwemmt und längst ausgebleicht; auf den setzten sie sich. Eine ganze Weile blickten sie still auf das Zusammenstrudeln der Flüsse hinaus; wiederum erfühlte der Herzog das Eins-Sein der Frau mit der Natur, gleichzeitig aber geschah ihm dies jetzt auch selbst – und dann fand er die Worte; die einzigen, die angesichts ihrer Liebe und dieses Ortes gesagt werden konnten. „Die Wasser, sie sind wie du und ich“, flüsterte er in das Aufleuchten ihres Antlitzes hinein. „Einsam suchten sie sich ihren Weg durch das Land, bis sie hierher kamen, bis sie ihre Bestimmung erreichten. Hier aber, genau an diesem Platz, zu dieser Zeit und unter diesem Himmel, verschmelzen sie miteinander und lassen nicht mehr voneinander. Vereint ziehen sie weiter auf immer, nichts kann sie mehr trennen; keine Macht der Erde kann je wieder scheiden, was so unauflöslich verbunden wurde. Nur noch ein gemeinsames Suchen nach dem künftigen Weg bleibt – für die Flüsse, die ein Strom geworden sind, und nicht anders für uns, Agnes …“
Schweigend nahm sie es hin, aber das stille Glänzen in ihren Augen schien sich noch zu vertiefen. Gerade diese Reaktion gab ihm den Mut, weiterzusprechen; sie hatte ihn nicht festzunageln versucht, hatte nichts von ihm gefordert; einmal mehr spürte er: Sie wollte nicht nehmen, nur schenken. „Wenn ich dir etwas schenken würde“, fragte er, „würdest du es dann aus ganzem Herzen annehmen von mir?“
Zögernd, wegen ihrer noch immer anhaltenden Entrückung wohl, kam ihre Antwort; dafür umso inniger: „Es
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