Agnes Bernauer - Hexe Hure Herzogin
angesetzt; Albrecht hatte gerade noch rechtzeitig durchs Münchner Stadttor preschen können. Jetzt nahm er auf seinem halbhohen Thronsessel zur Rechten Ernsts von Bayern-München Platz; der Vater, während sich ringsum etliche vom höheren Adel niederließen, beugte sich arglos zu dem Siebenundzwanzigjährigen hinüber und erkundigte sich: „Na, wie war denn die Jagd im Gebirge? Hast du wenigstens eine anständige Strecke zusammengebracht, wenn du schon ohne Ankündigung vom Hof geflohen bist?“
Der Sedlec, dachte Albrecht, alle Achtung! Er hat mich geschützt, hat dem Alten offensichtlich das Märchen eingeblasen. Ich werde nachher doch einen Becher mit ihm leeren müssen, um ihm zu danken, aber wirklich nur einen einzigen. „Anstrengend war’s“, erwiderte er mit dem nächsten Lidschlag auf die Frage des Vaters. „Die Gemsen stehen hoch in den Schroffen in diesem Jahr. Aber ein paarmal bin ich doch zum Schuss gekommen.“
„Ja, man sieht’s dir an, dass es kein Spaziergang war“, nickte der Alte. Mit dem nächsten Satz verspannten sich seine fleischigen Lippen und vertiefte sich die Steilfalte zwischen Herzog Ernsts leicht basedowschen Augen 20 . „Wird auch keiner werden, wenn es wieder gegen die Hussiten geht!“ Die Mitglieder des Kabinetts waren damit einbezogen worden ins Gespräch; grollend berichtete der Herr des oberländischen Teilherzogtums nunmehr über den neuesten Stand der Dinge in der genannten leidigen Sache. Die militärischen Erfolge der letzten Jahre schienen den Prokop, den Kahlschädel 21 , noch siegesgewisser als ohnehin schon gemacht zu haben; im Böhmischen drüben, so der Alte, werde jetzt wieder ganz gotteslästerlich gerüstet. „Wir können’s abwarten, bis die Ketzer mit einem großen Heer auch in Bayern stehen!“, belferte Ernst. „Wenn bis dahin das Rivalisieren der einzelnen Landesteile gegeneinander kein Ende genommen hat, dann, meine Herren, hat die katholische Sache verspielt!“
Vielleicht wäre es ihr zu gönnen, dachte Albrecht; der Prager Prediger war ihm wieder eingefallen, die Bethlehemskapelle, der Mord in Konstanz. Doch er hielt den Mund; er mischte sich nicht ein in die Disputation, die jetzt allmählich immer theologischer wurde – bis die Ratsmitglieder am Ende den Beschluss fassten, die eigenen Rüstungsanstrengungen im Grenzgebiet ebenfalls zu verstärken; vor allen Dingen im Straubinger Land.
Damit war das Stichwort gefallen für den zweiten und abschließenden Punkt der Tagesordnung. „Von der Kanzlei König Sigismunds ist Nachricht an uns gelangt“, verkündete Herzog Ernst. „Der Monarch, Gott vergebe ihm etliche seiner Sünden dafür, scheint allmählich zu einer Entscheidung in der verfahrenen Straubinger Angelegenheit kommen zu wollen! In absehbarer Zeit wird der Erbschacher, der durch den Tod des letzten holländischen Wittelsbachers entstanden ist, wohl endlich ein Ende haben. Das Straubinger Territorium soll dann unter den regierenden Häusern in Bayern aufgeteilt werden …“
Als einer der oberländischen Räte daraufhin empört aufraunzte, brachte ihn sein Landesherr durch eine unwirsche Geste jäh wieder zum Schweigen und setzte hinzu: „Nun ja, zumindest auf dem Pergament soll’s so stehen; in der Praxis jedoch, das habe ich aus vertraulicher Quelle, wird der Löwenanteil des donauländischen und wäldlerischen Kuchens an uns fallen! Wir müssen den Luxemburger 22 zwar vermutlich noch kräftig schmieren deswegen, aber voraussichtlich im nächsten Jahr schon wird sich’s auszahlen! Münchner Statthalter werden in Zukunft im Straubinger Schloss sitzen …“ 23
Ein scharfer Blick traf Albrecht; der Thronerbe zuckte zusammen, dachte unwillkürlich an den langen Weg vom Donaugäu nach Augsburg. „Nein, dich werde ich nicht senden – noch nicht“, fuhr der Glotzäugige fort, nachdem er seinen Sohn ein Weilchen hatte schmoren lassen. „Bist mir noch zu grün hinter den Löffeln – aber vielleicht, nachdem du dein dreißigstes Lebensjahr vollendet hast … – Vorerst solltest du dich bei Gelegenheit einmal um deine Grafschaft Vohburg kümmern; liegt manches im Argen dort, wie man hört!“
Albrecht entspannte sich; der Straubinger Kelch war noch einmal vorübergegangen an ihm, Agnes würde ihm in Reichweite bleiben. Wenig später, nachdem das Pokulieren des alten Herzogs und der Räte wegen der unterländischen Beute begonnen hatte, zog der Dunkelhaarige sich zurück; schützte Müdigkeit, von der vorgeblichen Jagd her noch,
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