Agnes Bernauer - Hexe Hure Herzogin
Achtung und in vielen Fällen sogar die Liebe der Vohburger erstaunlich schnell. Als eine Fremde war sie eingezogen in die Stadt; als Mätresse des Wittelsbachers, auch wenn jeder sich gehütet hatte, deswegen aufzumucken, hatte sie am ersten Abend an der Ratstafel gesessen – aber nun wurde sie, aus ihrem ungekünstelten Wesen und aus ihrer Großherzigkeit heraus, mehr. Nicht abseits, nicht entrückt thronte sie auf der Burg über dem Ort; vielmehr versuchte sie, weil sie selbst glücklich war, auch anderen Gutes zu tun; ohne Ansehen des Standes oder der Person.
Ihre Herkunft, die angeblich ehrlose, half ihr dabei. In der Badstube, abgesehen vom Anrüchigen, hatte sie gelernt, dem Volk aufs Maul zu schauen. Die Handwerker, die Bürgersfrauen, die Händler auf dem wöchentlichen Markt spürten dies. Sie fassten Zutrauen zu der Blonden, der reicher als sie Gekleideten, der so erstaunlich Schönen, als wäre sie eine von ihnen. Zögerlich geschah dies zunächst, dann immer unverblümter. Die Gräfin, so hieß es bald ohne unterschwelligen Beiklang, sei eine, mit der man offen reden könne; die nicht unter dem Dünkel so vieler anderer Adliger leide. Ein Ohr habe sie für die Nöte der Menschen; zuhören könne sie, besser als so mancher Beichtiger. Nicht bloß in den höheren Kreisen verkehre sie, was ja ganz selbstverständlich sei, sondern sie habe auch ein Empfinden für diejenigen im Schatten.
Um den Jahreswechsel von 1429 auf 1430 etwa stellte Agnes Bernauer diese Barmherzigkeit im Zusammenhang mit dem Vohburger Spital unter Beweis. Bis dahin hatte das Siechenheim wirklich eher ein Schattendasein geführt; halb wie Ausgestoßene hatten die Alten im Bannkreis der Andreaskirche gelebt. Kaum aber war die Augsburgerin auf die Zustände dort aufmerksam geworden, handelte sie mit zielgerichteter Entschlossenheit. Von der Menschenwürde, zwei Generationen vor dem Hochkommen des Humanismus in Deutschland, sprach sie zu Albrecht; der Wittelsbacher, in der wilden Ehe mit ihr ohnehin schon aufgeschlossener als früher geworden, erinnerte sich zusätzlich wieder der Lehren des Jan Hus, die er in seiner Jugend gehört hatte. Er ließ ihr Gold aus der gräflichen Kanzlei anweisen und gab ihr die nötigen Vollmachten dazu. Ehe noch das Weihnachtsfest vorüber war, verfügte das Spital über neue Möbel; auch das Essen war reichlicher und besser geworden, und den Nonnen, die das Siechenhaus bis dato mehr oder weniger aus katholischer Verbitterung heraus geleitet hatten, standen nunmehr etliche freiwillige Bürgerstöchter stundenweise zur Seite. Im neuen Jahr dann, kaum dass der Frost aus den Mauern gewichen war, schaffte Agnes es auch noch, dass das Spital außen und innen frisch getüncht wurde; ebenso sorgte sie dafür, dass der verwahrloste Garten wieder in Ordnung kam, sodass die Alten hinfort nicht mehr bloß in den Kammern, sondern auch in der Sonne sitzen konnten.
Durch diese und andere Taten, durch ihre wachsende Unbefangenheit dazu, gewann die Bernauerin also die Herzen der Vohburger für sich. Doch auch die Art, wie der Wittelsbacher selbst seine Grafschaft regierte, trug ihr indirekt zusätzlich die Sympathien der Menschen ein. Dass doch wohl sie dahinterstecke, wenn Albrecht sich nicht als Despot aufspiele, wurde vermutet – und in gewisser Weise traf dies auch zu, denn ganz wie seiner Geliebten wäre es dem Dunkelhaarigen widernatürlich vorgekommen, persönlich das Glück zu genießen, den anderen aber als Zwingherr im Nacken zu sitzen. Zwar hatte Herzog Ernst seinem Sohn aufgetragen, durchzugreifen in Vohburg; wenn nötig, mit Härte – doch sehr schnell, und sicherlich aufgrund des guten Beispiels der Blonden, hatte der junge Graf erkannt, dass der menschenfreundliche Weg besser zum Ziel führte; dass es nicht auf das Gegen-, sondern auf das Miteinander ankomme. Es war eine Lektion, die ihm durch nichts anderes als seine große Liebe ins Herz gelegt worden war, und nun setzte Albrecht von Bayern-München dieses inwendige Wissen sehr erfolgreich in die Praxis um. Ganz wie Agnes lieh er den Nöten, Wünschen und Obliegenheiten der Handwerker, der Bauern und Fischer ein offenes Ohr, lernte dadurch und wuchs durch das Lernen, und so zeigten sich im Vohburger Land alsbald auch ohne Zwang Anzeichen für einen erfreulichen Aufschwung.
Schon innerhalb des ersten Jahres der ungewöhnlichen Regentschaft begann das Gemeinwesen wieder zu blühen. Das Paar auf der Burg hatte seine Aufgabe gefunden und arbeitete
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