Agnes Bernauer - Hexe Hure Herzogin
bleiben, als die peinliche Befragung an ihnen vorzunehmen! Auf der Folter werden sie dann schon reden!“
Etwas in seinem Allerinnersten widerstrebte plötzlich, als der Dunkelhaarige das hörte. Ein Herzzucken lang war er versucht, das Verfahren abzubrechen; es erschien ihm auf einmal wie eine Farce. Doch dann schwemmte der Alkohol, den er reichlich im Blut hatte, ihm die natürliche, die menschliche Regung wieder weg; nichts als der Drang, sich noch mehr zu betäuben, blieb. Erneut griff er nach dem Pokal, gierig trank er; gleich darauf nickte er dem Inquisitor, dem lauernden Heinrich auch, billigend zu.
Der Ranghöchste unter den Klerikern gab den unausgesprochenen Befehl mit einem geilen Funkeln in den Augen an die Büttel weiter. Ohnmächtig, nachdem er begriffen hatte, was geschehen sollte, brach der lungenkranke Elias zusammen. Trotz der eigenen entsetzlichen Furcht kümmerten die anderen Israeliten, so sie dazu noch imstande waren, sich um ihn. Ein Teil der Waffenknechte verspottete sie deswegen, bedrohte und stach sie mit den Hellebarden; die übrigen waren den Henkern behilflich, die Folterinstrumente heranzuschaffen und gebrauchsfertig zu machen. Hinter der roten Balustrade wurden die Humpen derweilen immer hastiger geleert, von Seiten des einen oder anderen Beisitzers obszöne Zoten gerissen. Der Wittelsbacher, auch wenn es ihn anekelte, ließ es hingehen; die Dinge waren nun einmal in Gang gekommen, nun musste er das Verfahren eben durchstehen.
Also trank er weiter, während die Wippgalgen und die Streckbänke aufgebaut wurden, während man vor den Augen der Juden die Daumenschrauben schmierte. Und dann sah er, wie die halbnackten Leiber von den Bütteln gepackt wurden; wie die massenhafte Tortur begann. Die Schultergelenke des Sinay hörte er krachen, als der ins Seil des Wippgalgens stürzte; er hörte den Israeliten brüllen, als man ihn an den gefesselten Armen, die ihm schräg nach hinten über den Kopf standen, wieder hochzerrte, um ihn gleich darauf erneut in die Tiefe fallen zu lassen. Als ihm das Blut aus den Nagelbetten spritzte, kam – wie ein Tier wimmernd – Elias mit der entzündeten Lunge wieder zu sich. Auch den Grässel schützte seine Schwäche nicht; auf der Streckbank wurden ihm die Gelenke aus den Pfannen gezerrt, und wieder übergab er sich gallig; über die eigene Brust hinunter diesmal.
Stundenlang taten die Büttel und Henkersknechte ihr christlich-teuflisches Werk. Unter ihren Klauen verwandelten menschliche Körper sich in kreischende und zuckende Bündel viehischer Qual, aber schlimmer noch war das, was die Inquisitoren – die kirchlichen vor allen Dingen – seelisch mit den wehrlosen Opfern ihres Afterglaubens anstellten. Denn in das Knochenkrachen und Blutspritzen hinein zischelten, raunzten und belferten sie immer wieder die Fragen, auf welche die Israeliten vor ihrem Gewissen keine Antworten geben konnten. Um die geschundenen Leiber herumtanzend, sie rüttelnd, beutelnd und an ihnen zerrend dabei, schleuderten sie den Juden jetzt unablässig ihre eigenen priesterlichen Obsessionen entgegen; immer detaillierter, immer besessener, immer krank- und wahnhafter. Dem absoluten Aberwitz, noch über die körperliche Folter hinaus, sahen die Mosaischen sich damit ausgesetzt; hätten sie nicht den Glauben an DAS ADONAI, an das wahrhaft Göttliche, besessen – sie hätten im Gehirnbersten oder im Herzzerreißen zumindest irdisch untergehen müssen. Doch weil in ihnen, in der Seele ihres Volkes, der Geist selbst in der äußersten Erniedrigung unantastbar war, zerbrachen der Sinay, der Hirsch, der Mandel und die anderen letztlich nicht; die Juden bekannten sich vielmehr zu ihrem Da-Sein, indem sie sich – um nicht etwas Höheres aufgeben zu müssen – der primitiven Gewalt beugten.
Es war wiederum der Kopfel, der die Worte aussprach, und obwohl er die Silben mit zerbissenen Lippen und röchelnd formte, ging eine Würde von ihm aus, wie sie kein christlicher Prälat, kein Bischof und kein Papst je besessen hatten. „Ehe wir … auf der Folter … sterben müssen, wollen wir Euch … zugestehen, was Ihr … von uns fordert“, stöhnte der Israelit fast schon agonisch. Dabei dachte er an das Göttliche und daran, dass das Leben von dort kam – und deswegen heilig war. Ebenso aber dachte er an die Frauen und Kinder, die allesamt ohne Ernährer sein würden, wenn man das Christenvieh triumphieren ließ; nachdem er sich den Satz abgerungen hatte, durften sie wenigstens noch
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