Agrarwende jetzt
Schröders Hang zur »Konsens-Politik« ist wahrscheinlich die größte Gefahr für eine Agrarwende, die diesen Namen verdient.
8. Renate Künasts starker Start
In ihrer Regierungserklärung im Februar 2001 hatte Renate Künast eine »radikale Agrarwende« angekündigt. Sie basiert auf sechs Pfeilern:
• Die Bauern sollen ein neues Bündnis mit der Natur eingehen. Die Politik will künftig den Ökolandbau, die regionale Vermarktung der Produkte und die artgerechte Tierhaltung fördern.
• »Klasse statt Masse« für die Verbraucher: Zwei Qualitätssiegel für Öko- und Mindeststandards bei Lebensmitteln werden eingeführt.
• Angekündigt wurde ein »Wandel im Einzelhandel«: In den Supermärkten soll es bald eine reiche Auswahl an Ökoprodukten geben.
• Die Lebensmittelproduktion soll »von der Weide bis zur Ladentheke transparent« werden.
• Eine Positivliste der erlaubten Futtermittel soll für eine Mast ohne Antibiotika sorgen.
• Bis 2010 soll der Anteil der Ökoprodukte von heute 2,5 Prozent auf 20 Prozent steigen.
Große Ziele, viel Zustimmung im Parlament, Begeisterung in der Öffentlichkeit! In Rekordzeit wurde die neue Ministerin zum Politstar und hinter Gerhard Schröder und Joschka Fischer zur beliebtesten Politikerin Deutschlands. Die Grünen haben endlich wieder ein urgrünes Thema gefunden.
Der Gegenwind ließ nicht lange auf sich warten. Künasts eigener Staatssekretär hat das 20-Prozent-Ziel inzwischen halbiert - ohne öffentlichen Widerspruch der Ministerin. Bauernpräsident Gerd Sonnleitner hält eine Agrarwende schon wieder »nicht für nötig«. Sowohl im eigenen Ministerium wie auch in der Brüsseler Agrarbürokratie und erst recht bei behäbigen Bauernlobbyisten kann man hören, die Ministerin sei »zu forsch« und »zu ehrgeizig«. Angesichts der Probleme sind das lauter Ehrentitel!
Während England und Frankreich dabei sind, ihre Landwirtschaft zu ökologisieren und den Anschluss an Österreich zu finden, wird die neue deutsche Ministerin vom alten Beamtenapparat ihres eigenen Hauses ausgebremst und ausgetrickst.
9. Die Ware Tier
Beim Umverteilen öffentlicher Mittel gibt es immer Kampf und Streit. Bisher galt, wer viel Vieh hat, bekommt viel Geld. Jetzt soll gelten, wer mehr Weideland, artgerechte Tierhaltung und mehr Arbeitsplätze nachweist, wird stärker gefördert.
Aktuell wird im englischen Landwirtschaftsministerium an der Agrarwende intensiver und ernsthafter gearbeitet als im deutschen. Dort werden die Subventionen großer Agrarfabriken zu Gunsten kleiner Ökobetriebe bereits abgebaut. In Deutschland aber werden im Frühjahr 2001 weiterhin laufend Anträge für noch größere Agrarfabriken und noch schrecklichere Tierfabriken gestellt - und im Ministerium bearbeitet. Während hunderttausende Rinder aus rein wirtschaftlichen Gründen für die »Marktbereinigung« geschlachtet werden müssen, läuft zugleich die Kälberzucht auf Hochtouren weiter. »Hochbetrieb in den Rinderbesamungsanstalten«, meldet »Report« am 19. Februar 2001 in der ARD. Die Politik hatte schon längst beschlossen, dass 400 000 Rinder im Heizofen landen, doch die Nachwuchsproduktion läuft auf Hochtouren!
Bundesweit sollen in Deutschland im Jahr 2001 mehr als fünf Millionen neue Kälber geboren werden. Der Tierarzt Bernd Molitor zu diesem Wahnsinn hinter dem Wahnsinn: »Wir müssen so weiterbesamen, damit die Milchproduktion weiterläuft.« Ein Teufelskreis. Für unsere subventionierte Milch muss trotz der BSE-Krise Tag für Tag neuer Nachwuchs her. Rindermarkt pervers: Sechs Milliarden Euro zahlt die EU jährlich für die Aufzucht von Rindern, eine Milliarde für ihre Vernichtung und Einlagerung. Das Kalb ist dabei nur noch ein Abfallprodukt der Milchwirtschaft.
Dieter Bathe von der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung sagt dazu: »Meine Gefühle spielen hier keine Rolle. Ich kann Ihnen dazu nur sagen, wenn es morgen heißt, es wird in Berlin oder Brüssel beschlossen, 400 000 weitere Tiere müssen verbrannt werden, dann müssen wir unsere Arbeit machen. Wir sind das ausführende Organ. Und unsere, meine Gefühle sind hier nicht gefragt.«
Die erste Frau auf dem Ministersessel der alten Agrarlobby hat guten Willen, aber noch keinen nachhaltigen Erfolg.
»In unser Bier kommt nur Wasser, Hopfen und Malz, das ist uns heilig«, sagte sie im Bundestag und fügte hinzu: Was für das Bier gelte, müsse künftig auch für deutsche Rinder gelten. »In unsere Kühe gehört
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