Agrarwende jetzt
oder - aufgeben.
Über 55 Prozent der Gesamtfläche Deutschlands wird landwirtschaftlich bewirtschaftet. Aber die Zahl der landwirtschaftlichen Betriebe ist seit 1949 um über 65 Prozent zurückgegangen, die Zahl der Arbeitskräfte um über 75 Prozent und die Zahl der Vollerwerbslandwirte um etwa 90 Prozent. Der Einkommensabstand zwischen Landwirten und der übrigen Bevölkerung ist stetig gewachsen. Die alte Landwirtschaft ist am Ende.
4. Welches Tempo braucht die Natur?
Aber der Landwirt ist und bleibt der Urberuf aller Berufungen. Von Aldi können wir nicht leben, Computer können wir nicht essen und Benzin nicht trinken.
Mit der Verelendung der Landwirtschaft sind auch unsere Lebens- und Zeitrhythmen durcheinander geraten: Wir wollen zwar ernten, aber nicht mehr säen. Wir wollen zwar rund um die Uhr versorgt werden, aber zur Versorgung keinen eigenen Beitrag mehr leisten.
Der zu geringe Stellenwert der Landwirtschaft in den Industriegesellschaften ist auch ein Ausdruck unserer falschen Wirtschaftsweise. 99,9 Prozent der Gesellschaften vor uns haben in Kreisläufen gewirtschaftet; das heißt, sie haben die Lebensgrundlagen für die folgenden Generationen bewahrt. Das war bei einer Milliarde Menschen auf der Erde auch grundsätzlich einfacher als bei sechs Milliarden heute und erst recht bei vielleicht neun oder zehn Milliarden in 50 Jahren.
Doch seit etwa 200 Jahren wirtschaften wir nicht mehr, um zu leben, wir leben eher, um zu wirtschaften. So zerstören wir aber unsere eigenen ökonomischen Grundlagen und die der nachfolgenden Generationen. Wir produzieren heute viele Wegwerfprodukte nur noch um der Produktion willen. Die Frage nach dem Sinn des Produzierens wird kaum gestellt, natürliche Grenzen nicht akzeptiert. Wer in einem Betrieb oder als Landwirt zu langsam funktioniert, wird einfach wegrationalisiert. Wachsen oder weichen - das war jetzt Jahrzehnte offizielle Brüsseler Landwirtschaftspolitik. Die Schnellen sollen noch schneller werden und die Langsamen auf der Strecke bleiben.
Die neue Destruktivität der Beschleunigung verdrängt die Kreativität der Langsamkeit. Doch der Apfel braucht seine Zeit zum Wachsen und das Kalb auch. Die Kartoffel braucht ihre Zeit zum Wachsen und das Weizenkorn auch. Alles braucht seine Zeit, nicht unsere Zeit. Das Tempo, das wir heute der Natur zumuten, kann sie auf Dauer nicht verkraften, ohne unsanft zu reagieren. Stürme, Überschwemmungen und Klimaveränderungen und -verschiebungen nehmen so dramatisch zu, dass die Rückversicherungen, bei denen die Naturschäden in Mark und Pfennig zu Buche schlagen, heute mit am intensivsten vor der Naturausbeutung warnen.
Ein Großteil unserer ökologischen Probleme sind Beschleunigungsprobleme. An einem Tag verbrennen wir beispielsweise so viel Kohle, Erdöl und Erdgas wie die Natur in 500 000 Tagen geschaffen hat. Das kann nicht oft genug wiederholt werden.
Und ob die sich beschleunigende Informationsflut wirklich zu mehr Wissen oder eher zu mehr Verwirrung führt, wird sich noch zeigen.
Jede natürliche Entwicklung braucht ihre Zeit und ihren eigenen Rhythmus: das Einatmen und das Ausatmen, das Ernähren und das Ausscheiden, das Säen und das Ernten, das Wachen und Schlafen, das Arbeiten und das Meditieren, das Leben und Sterben, das Anstrengen und das Ausruhen. Erwachsene brauchen ihre Zeit zum Reifen und Kinder brauchen ihre Zeit zum Wachsen und zum Sichaustoben. Weil zum Beispiel US-amerikanischen Kindern und Jugendlichen diese natürlichen Rhythmen nicht mehr gestattet werden, traktiert man 70 Prozent von ihnen mit Psychopharmaka - eines der schlimmsten Verbrechen unserer Zeit!
Inzwischen stellt sich heraus, dass »immer schneller« gar nicht immer schneller ist. Neuer Wohlstand entsteht an vielen Stellen eher durch »Entschleunigung« als durch Beschleunigung. Auch der Geschwindigkeitswahn auf deutschen Straßen entpuppt sich als Rückschritt. In unseren Innenstädten fährt im Jahr 2001 ein Pkw im Schnitt noch 16,2 Stundenkilometer. Pferdefuhrwerke im Mittelalter erreichten 17,2 Stundenkilometer. Die Autos können zwar immer schneller fahren, kommen aber immer langsamer vorwärts.
5. Fastfood - Slowfood
Im Zeitalter von McDonald’s entdecken immer mehr Menschen die »Slowfood«-Bewegung: Essen und Kochen ohne Hektik. Mit Genuss schlemmen - und zwar ökologisch. Der Begründer der Slowfoodkultur, Carlo Petrini - natürlich ein Italiener - sagt: »Wir müssen uns darüber im Klaren sein, woher die Grundstoffe
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