Agrippina - Kaiserin von Rom
ursprünglichen Bestimmung genutzt wurde wie heute, tat man gut daran, sich rechtzeitig einen der wenigen Plätze zu sichern. Rund um die Rostra hatte die Prätorianergarde den Platz großräumig abgesperrt, was das Platzangebot zusätzlich verminderte. Immer noch strömte die Menge zum Marktplatz und verstopfte die Hauptzufahrtswege.
Allerdings hatte die Garde die Via Sacra in südlicher Richtung und die Via Lata in nördlicher Richtung komplett abgesperrt, denn aus der einen Richtung würde der Leichenzug vom Palatin kommen, in die andere würde er sich nach seinem Aufenthalt auf dem Forum fortsetzen, zum Marsfeld, wo der Scheiterhaufen bereits errichtet war. Später würde man die Gebeine des Toten dann in das Mausoleum Augusti überführen. Beide Straßen waren auf beiden Seiten von Schaulustigen gesäumt, die sich weniger aus Trauer denn aus Sensationsgier das prächtige Spektakel nicht entgehen lassen wollten.
Mehrere Stunden musste Valerius im beginnenden Nieselregen unter der wogenden Volksmenge ausharren, bevor ein Abebben des Geräuschpegels den nahenden Leichenzug ankündigte. An der Spitze gingen Musikanten, die aus ihren Flöten, Trompeten und Hörnern verhaltene, traurige Weisen erklingen ließen, alle in weiße Gewänder gekleidet, der Lieblingsfarbe des Verstorbenen. Mitunter steigerte sich auch die Lautstärke zu einem Fortissimo, das die Bedeutung des Verstorbenen deutlich machte. Dahinter die üblichen Klageweiber, die im Wechsel jammernde Klagelaute und Loblieder auf den Toten vortrugen. Es folgte ein Zug von Rittern, die eine Wachsstatue in der Tracht eines Triumphators trugen. Sie glich dem verstorbenen Claudius bis aufs Haar. Dahinter kamen ausgewählte Senatoren in gemessenem Schritt, die ein ähnliches Abbild aus purem Gold auf ihren Schultern trugen. In welcher Hast mussten die Künstler diese Werke gefertigt haben, durchfuhr es Valerius. Oder hatte Agrippina gar die Skulpturen rechtzeitig vorher in Auftrag gegeben?
Als Nächstes zog ein mit Samt und Goldbrokat ausgeschlagener Prunkwagen vorbei, der ein drittes Bildnis des toten Imperators trug. Dem Wagen folgten die bekanntesten Schauspieler Roms in prächtigen Gewändern. Sie trugen die Imagines , die Wachsmasken der berühmten Ahnen aus dem julisch-claudischen Haus vor ihren Gesichtern. Augustus, Cäsar und Tiberius waren unter ihnen ebenso zu entdecken wie die des Stammvaters Aenaeas – die Maske des verhassten Caligula fehlte jedoch.
Jetzt kam, umgeben von den Gardetribunen zu Pferd, der Leichenwagen. Auf einem mit weißem Samt ausgeschlagenem und mit goldenen Ornamenten verziertem leichten Reisewagen stand der kostbare Sarg, offen und innen mit Gold und Elfenbein ausgekleidet. Wer wie Valerius erhöht stand, konnte einen letzten Blick auf das wachsbleiche, aber friedliche Gesicht des Toten werfen.
Der Zug hatte jetzt die Rednertribüne erreicht und machte Halt. Der junge Nero, der zusammen mit der tief verschleierten Agrippina in einem Wagen hinter dem Leichenwagen saß, stieg aus und stieg die Treppe zur Rednertribüne empor. Sofort verstummte auch das letzte Gespräch in der Menge. Einen Augenblick lang sah sich der neue Princeps in der Runde um, dann begann er mit lauter Stimme seine Leichenrede:
»Quiriten! Bürger von Rom!
Ihr habt die Masken gesehen, die dem Toten vorangetragen
wurden. Das Gesicht des Aeneas, der aus dem fernen Troia einst
hierher kam, um das mächtige Geschlecht der Römer zu gründen.
Die Maske des großen Gaius Iulius Caesar, der ganz Germanien
für den römischen Adler unterwarf und dem Land unseren
Frieden schenkte. Die Züge des göttlichen Octavianus Augustus,
der über vierzig Jahre lang dieses Reich mit fester Hand regierte
und ihm die Pax Augusta schenkte. Die Maske des unvergessenen
Tiberius Claudius Nero, der das große Werk seines Adoptivvaters
mit Weisheit fortsetzte.
Der Verstorbene reiht sich nahtlos in die Reihe der Großen seines
Geschlechts ein. Aus Regilli, der fernen Sabinerstadt, wanderte
es einst auf Betreiben des Titus Tatius, der – wie ihr wisst – ein
Mitregent unseres Stadtgründers Romulus war, nach Rom aus.
Nach ihrer Aufnahme unter die Patrizier erlangten die Angehörigen
dieser Gens achtundzwanzigmal das Consulat, fünfmal die
Diktatur, siebenmal die Censur. Sie feierten sechs große und zwei
kleine Triumphe. Wer kennt nicht die Namen derer, die ihrem
Geschlecht so viel Ehre bereiteten: Appius Caecus, der von dem
Bündnis mit König Pyrrhus abriet;
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