Agrippina - Kaiserin von Rom
hat. Und diesen
Menschen wollt ihr zu einem der Euren machen? Seht doch
seinen Körper an, den Jupiter im Zorne erschaffen hat.
Er stottert, er hinkt, er sabbert. Wer wird dieses Scheusal als
Gottheit verehren? Wenn ihr solche Kreaturen zu Göttern macht,
wird niemand mehr glauben, dass ihr selbst Götter seid!
Valerius ließ die Rolle sinken. Sein Unmut war ihm deutlich anzusehen.
»Du bist nicht meiner Ansicht, nicht wahr?«
Er schüttelte den Kopf. »Diesen Spott hat der Cäsar nicht verdient! Freilich, ich kannte ihn nicht so gut wie ...«
»Kanntest du ihn überhaupt?«, unterbrach ihn der Philosoph. »Kennt ein Wächter mehr als die Stimme seines Herrn?«
»Und du glaubst, dass dein Zögling ein besserer Herrscher sein wird?«
»Wer kann das wissen?«, antwortete Seneca nachdenklich. »Jedenfalls tue ich alles, damit er es wird. Hier, diese Denkschrift verfasse ich gerade für ihn. Vielleicht findet sie mehr Gefallen bei dir als meine leichte Satire.« Er holte eine Schriftrolle von seinem Schreibtisch.
» De Clementia – Über die Milde. Das scheint mir passend für einen jungen Herrscher.« Hastig überflog Valerius einige Sätze:
Prüfe alles, das Beste behalte! ... Verlange nicht, den Besten
gleich zu sein, aber strebe danach, jeden Tag besser zu werden.
Es genügt, wenn du täglich einige von deinen Fehlern ablegst ...
Gib jeden Tag den allwissenden Göttern Rechenschaft über
deine Taten, beschreite den Weg der Selbstzucht und der
Menschlichkeit ... Stets besiegt Güte das Böse ... Alle sind wir
ein wenig im Inneren krank und bedürfen der Heilung; aber
glaube mir: Beides ist falsch – allen und niemandem zu trauen.
Der eine Fehler ist edler, der andere gefahrloser ...
» Mir gefallen diese Sentenzen«, sagte Valerius nicht ohne Bitterkeit, weil er an das von Nero unterschriebene Todesurteil gegen ihn denken musste. Vielleicht hätte der junge Kaiser die Denkschrift vorher lesen sollen. Er gab die Rolle zurück und meinte mit einem leichten Stirnrunzeln: »Aber werden sie auch Nero gefallen? Wird der Urenkel des göttlichen Augustus solche Ratschläge annehmen, und wenn ja, wie lange? Irgendwann wird er dieser Sätze überdrüssig sein, und dann fürchte ich für das Leben all derer, die sie ihm gaben. Gewalt zeugt immer nur Gewalt und Tod immer nur Tod!«
»Wie meinst du das?«
»Gestatte eine Gegenfrage, edler Seneca. Glaubst du, dass Claudius eines natürlichen Todes starb?«
Der Philosoph runzelte die Stirn und zog verwundert die Augenbraue hoch. »Du meinst ...? Unsinn, wer erzählt so etwas?«
»In der Stadt geht das Gerücht, die Augusta habe ... äh ... nun ja, sie habe nachgeholfen.«
»Da ist infam!« Seneca schlug mit der flachen Hand auf einen seiner geliebten Tische. »Eine Verschwörung gegen den Kaiser, ein Mord gar. Und die anderen, Burrus, Narcissus, Pallas, der Eunuch Halotus, der Arzt Xenophon, sie alle haben sich wohl an diesem Anschlag beteiligt, was?«
Offensichtlich war Seneca ahnungslos, und Valerius beschloss, es dabei zu belassen.
»Du hast Recht, das ist wirklich unvorstellbar!«
XXIV.
Ein Raub der Flammen
Zur Leichenfeier war ganz Rom auf den Beinen. Am Morgen hatte der neue Kaiser die Parole » Optima Mater« an die Garde ausgegeben und damit seine Dankbarkeit gegenüber Agrippina bezeugt. Dann zog er sich in seine Privaträume zurück, um die Rede, die Seneca ihm aufgesetzt hatte, wenigstens einmal vorher zu lesen. Die Menschen strömten zu Tausenden zum Forum Romanum , um sich einen guten Platz für das Ereignis zu sichern. Die Inhaber der Garküchen und Tabernen, die Weinhändler und Kuchenverkäufer, die Taschendiebe und Beutelschneider, sie alle witterten das Geschäft des Jahres und waren schon seit Stunden auf den Beinen.
Valerius hatte die Nacht in einem einfachen Gasthaus in der Nähe des alten Concordia-Tempels verbracht und sich dann frühzeitig zum Forum begeben. Nun stand er unweit vom Triumphbogen des Tiberius, kaum mehr als hundert Schritt von der Rednertribüne entfernt, auf einem erhöhten Treppenabsatz. Hier hatte Cicero seine berühmten Gerichtsreden vorgetragen und Marcus Antonius seine Leichenrede für den ermordeten Cäsar gehalten. Inzwischen hatte das Forum allerdings durch die rege Bautätigkeit unter den letzten Kaisern den Charakter eines Platzes fast völlig verloren. Triumphbögen, Statuen, Säulen und Tempel ließen für Versammlungen kaum noch Platz. Und wenn das Forum dann doch wieder in seiner
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