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Agrippina - Kaiserin von Rom

Agrippina - Kaiserin von Rom

Titel: Agrippina - Kaiserin von Rom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rolf D. Sabel
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Nugator inne, um die Reaktion seiner Zuhörer abzuwarten. In der Tat ertönte von da und dort unwilliges Gemurmel, weil diese Entwicklung nicht allen gefallen mochte. Einer, ein kräftiger Fischhändler, räsonierte laut: »So sind sie, die Weiber. Der Gatte ist noch nicht ganz kalt, und da suchen sie schon die Lenden des Nachbarn!« Aber er wurde von seiner Umgebung niedergezischt. Befriedigt ließ der orientalische Erzähler seine Blicke schweifen, hob die Arme zu großer Gestik und setzte seine Erzählung fort: »Nun geschah es aber, dass die Eltern eines der Gehenkten merkten, dass der Wachdienst nur sehr nachlässig versehen wurde. Und so hängten sie unbemerkt die Leiche ihres Sohnes ab, um ihn würdig zu bestatten. Wie nun der Soldat am nächsten Tage merkte, dass ihm an den Kreuzen eine Leiche fehlte, machte er sich große Sorgen und fürchtete zu Recht eine Strafe seines strengen Statthalters. Dies erzählte er der trauernden Witwe, die nunmehr getröstet war, und zugleich auch, dass er nun aus Schande aus dem Leben scheiden müsse. Sie aber möge ihn würdig neben ihrem Gatten bestatten, darum nur bitte er. Die Frau aber besaß nicht weniger Barmherzigkeit als Sittsamkeit und rief aus:›Das mögen die Götter verhindern, dass ich zu gleicher Zeit zwei Menschen, die mir die liebsten sind, begrabe. Lieber will ich den Toten aufhängen, als den Lebenden umbringen!‹ Sprach’s und ließ den toten Gatten aus dem Grabe nehmen, um ihn am leeren Kreuze aufzuhängen. Und als am nächsten Tag die Menschen an der Richtstätte vorbeikamen, fragten sie sich, wie es der Tote wohl geschafft habe, an das Kreuz zu gelangen!«
    Die Arme sanken herab, die Gestalt entspannte sich, die Geschichte hatte ihr Ende gefunden.
    Die Reaktion der Zuhörer war recht unterschiedlich. Während die Männer zum Teil mit zotigen Bemerkungen lachten, manche auch schimpften, waren die Gesichter vieler Frauen errötet, und es war wohl weniger die Aufregung über eine spannende Geschichte als mehr die Scham über jene scheinbar treulose Geschlechtsgenossin, die ihnen die Farbe ins Gesicht trieb. Eine Reaktion aber war allen gemein: Der kleine Topf, der vor dem Erzähler stand, füllte sich in Windeseile mit kleinen und großen Münzen, was der Fremde mit Befriedigung wahrnahm. Auch Valerius entrichtete seinen Obolus. Zwar hatte ihm die Geschichte weniger gefallen, aber die Art, wie der Nugator sie erzählt hatte, verdiente Respekt und einige Münzen.
    »Und jetzt?« Valerius hatte die Hoffnung, dass Dirana den Gedanken an die Prozession aufgegeben hätte und vielleicht stattdessen ...
    »Jetzt schnell zum Forum«, rief Dirana mit glühenden Wangen und machte alle Hoffnung zunichte, »du hast doch die Musik schon gehört. Wir werden bestimmt keinen guten Platz mehr bekommen. Aber egal! Hat dir der bunte Mann gefallen, mein kleiner Liebling?«
    Titus krähte vor Vergnügen und schlang seine Ärmchen um den Hals der schönen Mutter. So schnell, wie sich der Zuhörerkreis gebildet hatte, löste er sich auf, und am Schluss stand der Erzähler allein da und zählte befriedigt seine Einnahmen, während seine Zuhörer zur nächsten Attraktion strömten.
    Je näher man dem Forum kam, um so undurchdringlicher war die Menschenmenge in den engen Gassen. Längst hatte Valerius den kleinen Titus auf den Arm genommen und bahnte seinerkleinen Familie kraftvoll einen Weg. Die Isis-Prozession führte vom Forum aus über den Cardo Maximus in nördliche Richtung, um dann hinter dem Prätorium zum Rhein abzubiegen. Hier würde der bunte Zug seinen Abschluss finden. Die Straßen waren auf beiden Seiten dicht von Zuschauern gesäumt, und Valerius hatte großes Glück, unweit der Aula Regia einen Stehplatz für sich und Dirana zu ergattern. Der Zug hatte schon begonnen, und die erste Gruppe bunt geschmückter Tempeldiener war bereits vorbei. Sie begleiteten den Zug mit Harfen, Flöten und Pfeifen, aber deren dezenter Ton ging im tosenden Lärm völlig unter. Der einzige Laut, der alles zu übertönen schien, war das unangenehme Geräusch der Sistra , jener Metallstäbe, die in gebogenem Blech steckten und durch heftiges Schütteln ein hell tönendes, ohrenbetäubendes Geklingel erzeugten.
    »Furchtbar!«, rief Valerius und schüttelte unwillig den Kopf, aber Dirana und Titus achteten nicht auf seine Empörung, sondern klatschten begeistert in ihre Hände. Hinter den Tempeldienern erschien jetzt ein Chor aus etwa zwanzig Sängern, der die Göttin mit wohlklingenden

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