Agrippina - Kaiserin von Rom
Hymnen pries. Während sie sangen, tanzten sie zum Klang der Instrumente, und je länger der Zug andauerte, um so ekstatischer wurden ihre Bewegungen. Es folgte ein Wagen, auf dem Priester und Priesterinnen in langen, fremdländisch anmutenden Gewändern standen. Auch sie schwangen begeistert ihre Klapper. Einige der Priester trugen die Gesichtsmaske eines Hundes, und Dirana belehrte Titus, dass dies die Maske des ägyptischen Totengottes Anubis sei. Kaum war der Wagen vorbei, folgte eine Gruppe kahlköpfiger Priester in langen schleppenden Gewändern aus weißen Leinen. Sie trugen Figuren der Göttin Isis auf ihrem Arm.
»Wer ist das Baby da?«, schrie Titus und zeigte aufgeregt auf das Kind, das die Göttin auf dem Arm trug.
»Das ist Horus, der Sohn der Göttin!«, rief Dirana atemlos. Ihre Wangen waren gerötet, und die Aufregung hatte ihr den Atem verschlagen.
»Sie geht nie ohne ihren kleinen Horus aus«, ergänzte lächelnd eine kräftige Frau, die neben Dirana stand. »Wahrscheinlich liebt sie ihn so wie deine Mutter dich, nicht wahr?«
Titus schenkte ihr ein bezauberndes Kinderlächeln und starrte im nächsten Moment wieder auf die Prozession.
Inzwischen war es völlig dunkel geworden, und nur die Fackeln, die von den Zugteilnehmern getragen wurden, warfen ihr flackerndes, unheimliches Licht in die Menge.
»Da kommt er! Carrus navalis ! Carrus navalis !« Ein einziger Schrei aus tausend Kehlen ertönte und hallte kraftvoll an den Hauswänden wieder. Die Menge geriet außer Rand und Band und reckte die Köpfe, um den Wagen genauer zu sehen, der jetzt ins Blickfeld geriet. Ein langgestreckter, prächtig geschmückter Wagen in Form eines Schiffes. Hölzerne Fische in bunten Farben symbolisierten das ihn umgebende Meer. Auf dem Wagen standen Priesterinnen, die Süßigkeiten in buntem Papier in die Menge warfen. Gleichzeitig steigerte sich das Geklapper der Sistra zu einem ungeahnten Crescendo und wurde nur noch durch das Geschrei der fast schon hysterischen Menge übertönt. Isis – Schutzgöttin der Flüsse und Meere, ging es Valerius durch den Kopf. Mit diesem orgiastischen Fest wurde nicht zuletzt auch der Wiederbeginn der Schifffahrt gefeiert. Gleich würden Sklaven das mit Spezereien und Weihegeschenken beladene Schiff vom Wagen nehmen und den Fluten des Rheins übergeben, und damit waren die Seewege wieder eröffnet.
Valerius spürte plötzlich einen leichten Stoß von hinten und drehte sich um. Ein bärtiger Mann, das Gesicht von einer Kapuze fast verhüllt, murmelte eine flüchtige Entschuldigung und drängte sich eilig durch die Menge davon. Valerius achtete nicht weiter auf ihn. Schweigend lehnte sich Dirana wie schutzsuchend an ihren Mann und schien das Spektakel zu genießen. Immer noch schrien die Menschen und versuchten die Süßigkeiten aufzufangen, die auf die Menge herabprasselten.
»Möchtest du gar nichts für unseren kleinen Schatz fangen?«, fragte Valerius, der immer noch Titus auf dem Arm hielt. Aber Dirana antwortete nicht. Valerius warf ihr einen Blick zu – und erschrak. Dirana war leichenblass und begann gleichzeitig, langsam an seiner Schulter herabzusinken. Im gleichen Augenblick stieß die Frau, die neben Dirana stand, einen schrillen Schrei aus und zeigte entsetzt auf den Blutfleck, der sich allmählich aus dem Mantel herausschälte.
»Dirana! Mein Schatz, was ist? Was ist geschehen? Wer ...?«
Lautlos war Dirana auf die Stelle des Bodens gesunken, die die erschreckte Umgebung in Windeseile geräumt hatte.
»Marcus, Liebster, lass mich nicht allein. Es ist so kalt. Es tut so weh!«
Valerius drückte Titus der Frau in den Arm, die die Szene aus schreckgeweiteten Augen beobachtete, und beugte sich entsetzt über seine Geliebte. Er schlug den Mantel zurück und entdeckte eine stark blutende Wunde, die ganz offensichtlich von einem heftigen Messerstich rührte.
»Helft mir«, schrie er, »ich brauche Hilfe!« Ratlos und hilfesuchend blickte er um sich. Einige Männer eilten herbei und halfen ihm wortlos, Dirana vorsichtig aus der Menge herauszutragen. Die kräftige Frau mit Titus auf dem Arm folgte ihnen atemlos.
»Zum Prätorium , schnell!«
Zum Amtsgebäude waren es nur wenige Schritte, und die diensthabenden Legionäre, die Valerius erkannten, sprangen sofort hilfreich hinzu.
»Tragt sie in die Halle«, befahl er. »Ist ein Arzt in der Nähe?«
»Ein Arzt?«
»Ja, ein Arzt, du Dummkopf! Siehst du nicht, dass sie sofort ärztliche Hilfe braucht? Sie verblutet mir
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