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Agrippina - Kaiserin von Rom

Agrippina - Kaiserin von Rom

Titel: Agrippina - Kaiserin von Rom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rolf D. Sabel
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doch ihre Anhängerschaft im ganzen Reich so zahlreich, dass der städtische Magistrat nicht anders konnte, als sich den Feierlichkeiten anzuschließen. Isis genoss unter anderem deshalb so große Verehrung, weil ihre Priester die Kunst der geheimnisvollen Mystik in besonderer Weise beherrschten und weil »der Zug so bunt und so lustig ist«, wie es eine der Frauen ausdrückte, die ihren Platz am Zugweg schon am frühen Morgen in Beschlag genommen hatte. Eine bunte Kinderschar tollte um sie herum, aber sie harrte in unendlicher Langmut aus bis zu dem Zeitpunkt, wo es aus tausend Kehlen schallen würde: » Agmen venit – der Zug kommt!«
    »Beeil dich doch, Marcus!«, rief Dirana und packte schnell einige Sachen zusammen. Sie warf einen besorgten Blick durchs Fenster. Langsam legte sich Dämmerung über die Stadt.
    »Wir werden noch zu spät kommen und den Beginn des Zuges versäumen.«
    »Ja doch«, murmelte Valerius, dem solche turbulenten Ereignisse ein Gräuel waren.
    »Der kleine Titus wird den Zug lieben. All die bunten Wagen und Gruppen, die Gesänge und tanzenden Priester.«
    Falten des Unmuts zogen über Valerius’ Stirn. »Ich hasse das durchdringende Geklapper der Sistra «, gab Valerius unwillig zurück und lächelte sein Söhnchen liebevoll an, das leise plappernd die Prozedur des Umziehens über sich ergehen ließ.
    »Und meine Liebe, über dich muss ich mich doch wundern. Was würde Maternus sagen, wenn er erführe, dass du Freude an jenem bacchantischen und orgiastischen Treiben hast?«
    »Aber die Wagen, Marcus, die schönen Wagen.« Sie gab dem kleinen Titus einen Klaps, was ihn zu einem hellen Jauchzen veranlasste. »Sie sind wunderbar geschmückt. Und dann die herrlichen Figuren darauf! Sie können mir doch auch gefallen, ohne dass ich Anhängerin dieses scheußlichen Kultes wäre.«
    »Titus liebt bunte Wagen«, meinte der Kleine mit wichtiger Miene.
    »Das einfache Volk mag Gefallen an den carrus navales haben«, sagte Valerius mürrisch, »nach meinem Geschmack sind sie nicht. Zu oft ...«
    »Nun verdirb uns nicht den Tag«, unterbrach Dirana ihn und verschloss seinen Mund mit einem stürmischen Kuss, »gönn mir ein wenig Abwechslung.«
    Valerius verzichtete auf eine Antwort. Sie zogen ihre Mäntel über und verließen schweigend das Haus. Ein kalter Luftzug empfing sie und eine dichte Menschenmenge, die durch die Gassen zum Forum strömte, wo der Zug seine Aufstellung nahm. Als sie gerade die Thermenanlage passierten, packte Dirana Valerius am Arm.
    »Ach schau doch, Titus, sieh nur! Ein Nugator. Lasst uns doch einen Augenblick zuhören!«
    Während die Augen des kleinen Jungen wie gebannt an der bunt gekleideten Gestalt hingen, die gestenreich ihr Publikum in Atem hielt, versuchte Valerius einen zaghaften Einwand.
    »Aber wir werden ...«
    »Oh ja, Titus möchte Geschichten hören«, krähte Titus und zupfte Valerius ungeduldig am Ärmel.
    »Bitte, Liebster. Ich hab so lange keinen Nugator mehr gehört. Seit Kinderzeiten nicht mehr. Isis wird uns schon nicht davonlaufen.« Diranas energische Stimme duldete keinen weiteren Widerspruch, und Valerius fügte sich seufzend. Und damit war endgültiggeklärt, dass die Isis-Prozession, die eben noch keinen Aufschub zugelassen hatte, nun hinter der Attraktion eines orientalischen Märchenerzählers zurückzustehen hatte.
    Irgendwie hatte einer jener bunten Märchenerzähler den Weg aus dem fernen Orient an die Ufer des Rheins gefunden. In den arabischen Provinzen saßen sie an jeder Ecke und unterhielten ihre Zuhörer gegen ein kleines Honorar mit den prächtigsten Geschichten. Auch in Rom waren die Männer in den bunten Kostümen keine Seltenheit und belebten das ohnedies vielfältige Straßenbild. Und auch dieser hier mochte als typischer Vertreter seiner Zunft gelten. Seine malerische, mit tausend bunten Schleiern und Tüchern ausgestattete Kleidung, der goldfarbene Turban, der das Haupt verhüllte, und der schwarze Bart, der bis tief auf den Bauch herabhing – das alles verlieh der Gestalt eine schillernde Farbenpracht, die irgendwie nicht in das Grau der germanischen Provinzstadt passen wollte.
    »Pscht!«, machte Dirana, obwohl Valerius gar nichts gesagt hatte. Ihre Kritik richtete sich wohl auch eher an die Umstehenden, die mit leisem Geflüster ihrem Erstaunen Ausdruck verliehen, nun aber unter den bösen Blicken Diranas erschreckt verstummten. Bedächtig strich sich der Mann über seinen Bart und sorgfältig musterte er seine Zuhörer.

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