Agrippina - Kaiserin von Rom
konnte man die Namen kaum lesen. Ich erinnere mich aber, dass für Mogontiacum ein ähnlicher Name angegeben war.«
»Hm ...«, machte der Statthalter. »Welchen Namen erwähntest du gerade?«
»Welchen Namen?
»Ich meine, wer hat dir die Tafel gezeigt?«
»Tullius Torquatus Niger!«
»Der ›Schwarze‹! Was hat dieser Schurke mit der Sache zu tun?«
» Er führt den Agentendienst der Augusta .«
»Der ›Schwarze‹? Da hast du den rechten Vorgesetzten!« Lucius Duvius Avitus lachte laut auf.
»Kennst du das Wort unseres trefflichen Horaz, das wie kein anderes auf ihn passt?«
Bevor Valerius antworten konnte, hatte der Statthalter den großen Satiriker schon zitiert: » Virtus post nummos – Erst das Geld, dann die Tugend. Und auch die Einheimischen hier haben ein Sprichwort, das passt: ›Den Fuchs zum Wächter des Hühnerhauses machen‹.«
»Ich weiß, dass Niger viele Feinde hat, und sei versichert, ich bin weit davon entfernt, ihm zu vertrauen. Aber ich habe keine Anzeichen dafür, dass er Agrippina nicht blind ergeben ist.«
»Wo sind wir eigentlich hier?« Lucius Avitus unterbrach den Tribun und blickte sich um. Seine Nase bebte, als hätte er Witterung aufgenommen. Völlige Dunkelheit umgab sie inzwischen, undnur der blasse Mond zeigte ihnen mit fahlem Schein noch den Weg. Längst hatten sie das bessere Viertel der Kaufleute verlassen und waren unbemerkt in jene Gegend der Ubierstadt gekommen, die die Einheimischen in Anlehnung an das berüchtigte Viertel Roms die kleine Subura nannten. Die menschenleere Straße war mit Kot und Unrat bedeckt, ein fauler Gestank zog in ihre Nasen. An den Seiten lagen Haufen von Abfall, um den sich verschiedene Katzen lautstark balgten. Von Zeit zu Zeit huschten fette Ratten am Straßenrand entlang, blieben kurz stehen und schienen die beiden Passanten mit großen glühenden Augen zu beobachten. Ein streunender einäugiger Hund mit stumpfem Fell wich ihnen ängstlich aus. Die zweistöckigen Häuser aus Stein waren übergegangen in brüchige Holzhäuser, viele verfallen und unbewohnt. Nur hinter wenigen Holzläden waren blasse Lichtschimmer auszumachen.
Valerius sah sich um. Sie waren nicht allzu weit vom Südtor entfernt. »Die Einheimischen nennen diese Gasse Inter falcarios wegen der Werkzeughersteller, die früher ihre Betriebe hier hatten. Die meisten aber sind weggezogen. Wer jetzt hier noch wohnt, der lebt von der kostenlosen Getreidespende. Beutelschneider und Tagediebe haben das Revier für sich in Beschlag genommen. Das Problem ist dem städtischen Magistrat aber bekannt. Es existieren Pläne, das ganze Viertel abzureißen und durch breitere Straßen und schönere Häuser zu ersetzen. Aber im Augenblick fehlt es am Geld, wie überall.«
Plötzlich ertönte ein Pfiff. Leise Schritte und dumpfes Gemurmel drangen an ihr Ohr.
»Bist du bewaffnet, Statthalter?«, flüsterte Valerius und zückte das Schwert, das er unter dem Mantel trug. Wie immer trug er unter dem Mantel seine Uniform und volle Bewaffnung.
»Nein«, gab Duvius Avitus leise zurück. »Unglücklicherweise ...«
»Dann nimm das«, sagte Valerius und reichte ihm seinen Offiziersdolch. »Du wirst es brauchen!«
»Ein Überfall?«
Bevor der Tribun antworten konnte, schälten sich zwei Gestalten aus der Dunkelheit und versperrten ihnen den Weg. Leise Schritte hinter ihnen zeigten an, dass sie von mehreren Männern umzingelt waren.
»Hoher Besuch in unserem Viertel. Seid gegrüßt, edle Herren. Sicher werdet ihr nicht vergessen, den fälligen Wegezoll an die Bruderschaft der Sichelmacher zu entrichten!«
Ein Dunst ekliger Ausdünstungen ging von dem Sprecher aus. Im blassen Mondlicht gewahrte Valerius einen kräftigen, untersetzten Mann in einem abgeschabten Wollmantel. Der Mann war völlig kahlköpfig, trug aber einen dichten schwarzen Bart. In seiner Hand funkelte die Sica , der tückische Dolch der Wegelagerer.
»Aus dem Weg, verdammtes Räubergesindel!«, schrie Lucius Duvius Avitus. »Ihr wisst wohl nicht, mit wem ihr es zu tun habt!«
»Das ist uns egal, edler Herr! Ihr seid zwei und wir sind vier, nur das zählt hier! Also zahlt euren Zoll und geht eurer Wege. Wer nicht zahlt, kommt nicht durch.«
Er schlug sich gegen die breite Brust und verkündete selbstbewusst: »Das ist mein Revier.« Der andere neben ihm nickte grinsend und ergänzte glucksend: »Sein Revier!«
Lässig spielte der Anführer mit seinem kleinen Dolch und grinste die beiden Männer frech an, wobei er ein
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