Agrippina - Kaiserin von Rom
warst damals noch gar nicht hier, oder irre ich mich?«
»Du irrst nicht, mein Freund, das geschah noch zu Zeiten meines Amtsvorgängers Aulus Pompeius Paulinus. Übrigens der Schwager von Seneca, was ihm diesen Posten eingetragen haben dürfte. Nein, ich war damals Legionslegat in der Narbonnensis . Aber es gibt Akten über die damalige Zeit, und manchmal kann auch ein Aktenstudium Leben retten.«
Er erklärte diese dubiose Anmerkung nicht weiter und blieb plötzlich stehen. Sie standen vor dem Capitolium , jener großen dreischiffigen Tempelanlage, die den capitolinischen Gottheiten Jupiter, Juno und Minerva geweiht war. Das Gelände lag in fast völliger Dunkelheit, und nur eine einsame Fackel erleuchtete spärlich den Eingang. Um diese Zeit wollte niemand mehr opfern oder beten. Der Statthalter zeigte plötzlich auf den Tempel.
»Und auch hier musste damals jemand sterben. Ein alter Priester. War es nicht so? Wie hieß er doch gleich?«
Valerius erinnerte sich genau. Man hatte den alten Mann in seinem Blute schwimmend aufgefunden, von hinten erstochen.
»Garunnian«, murmelte der Tribun.
»Ja, so hieß er wohl. Levis sit ei terra – Möge die Erde ihm leicht sein!«
Lucius Duvius Avitus drehte sich abrupt herum und legte seine Hand mit festem Griff auf den Arm seines Begleiters.
»Marcus Valerius Aviola, was ist hier los?«
»Wie meinst du das? Was soll ...?«
»Bei Jupiter, weich mir nicht aus. Du weißt, ich bin dir gewogen und schätze deine Arbeit. Die Berichte, die der verstorbene Curator über dich angefertigt hat, sind des Lobes voll. Aber jetzt, jetzt weich mir nicht aus. Was passieren hier in Colonia Claudia AraAgrippinensium für merkwürdige Dinge? Garunnian, Arusius und die anderen, das ist Jahre her. Aber inzwischen sterben hier wieder Menschen. Sie sterben in einer Zahl, als ob das gelbe Fieber grassieren würde. Menschen werden ermordet, seltsame Unfälle geschehen. Das alles schafft Unruhe, die Bürger der Stadt fragen sich, was die Administration dagegen tut. Selbst bis zu meinem Amtskollegen in Mogontiacum sind die Dinge gedrungen. Und hier? In der ganzen Stadt spricht man von nichts anderem. Freilich nicht offen, aber heimlich und versteckt. In den Tabernen, in den Thermen, auf dem Marktplatz flüstern die Menschen darüber. Sie kennen kaum ein anderes Thema. Und immer wieder wird dein Name genannt.«
Valerius brauchte einen Augenblick um sich zu sammeln. Konnte er dem Statthalter vertrauen? Oder taumelte er in die nächste Falle? Und wie viel wusste Duvius Avitus bereits?
Der Statthalter kam ihm zu Hilfe. »Du stehst in Agrippinas Diensten, nicht wahr?«
Valerius blickte ihn ungläubig an.
»Weiß ich von Burrus. Er lebt nach der Devise: Ne dicto omnia, quae scis, sed omnia scito, quae dicis – Sage nicht alles, was du weißt, aber wisse stets, was du sagst. Wir sind seit Kindertagen befreundet, ich erwähnte es schon, nicht wahr?« Wie zum Beweis seiner Offenheit fuhr er mit gesenkter Stimme fort: »Seine Tage am Hof scheinen gezählt, wie auch die Senecas. Es sind andere Leute, die nun das Ohr des Kaisers haben. Gewissenlose Ehrgeizlinge wie Anicetus oder der intrigante Tigellinus. Vor denen muss man sich hüten. Was ist nun? Redest du mit mir oder nicht? Ich werde dich nicht nötigen. Wenn du nicht willst ...«
»Agrippina ist in tödlicher Gefahr. Alle, die in letzter Zeit ums Leben kamen, gehörten zum Kreis ihrer Agenten. Ich soll herausfinden, wer dahinter steckt, zumindest hier in unserer Stadt.«
»Ein offenes Wort, Tribun, ich danke dir. Und was hast du bisher herausgefunden?«
»Um ehrlich zu sein: nichts, fast nichts! Die Götter sind gegen mich.«
»So, die Götter? Hm ... kennst du einen gewissen Fulvius Regulus?«
Valerius verneinte.
»Man fand ihn in einem Löwenkäfig der Arena von Mogontiacum. Bis zur Unkenntlichkeit zerrissen von den wilden Bestien. Die Götter mögen wissen, wie er in den Käfig hineingelangt ist.«
»Fulvius Regulus? Fulvius Regulus?« Valerius dachte angestrengt nach. Wie immer, wenn er nervös war, juckte seine Narbe an der Stirn unerträglich, und er begann sich heftig zu kratzen.
»Moment! Der Name stand auf der Liste, jedenfalls teilweise.«
»Auf welcher Liste?«, fragte der Statthalter, und eine große Spannung war ihm anzumerken.
»Auf einer Tafel, die mir Tullius Torquatus Niger gezeigt hat. Auf ihr waren die Namen derer verzeichnet, die für die Organisation der als Unfälle getarnten Morde zuständig waren. Leider
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