Agrippina - Kaiserin von Rom
Winter keine Not. Längst waren die Trauben geschnitten und der Wein gekeltert, jetzt reifte der Saft in vielen hundert Fässern und Amphoren. Subrius Caesonius verfügte über nur wenige Sklaven. Er zog es vor, in den Zeiten, in denen die meiste Arbeit anfiel, Tagelöhner zu beschäftigen, die er in arbeitsärmeren Zeiten wieder entlassen konnte. Auch aus Colonia Claudia Ara Agrippinensium kamen zur Herbstzeit viele nach Durnomagus und blieben einige Wochen dort, um danach mit sparsam gefülltem Geldbeutel wieder in die Stadt zurückzukehren.
Ruhe lag über dem großen Gut, nur ab und zu unterbrochen von dem hellen Geschrei einiger Sklavenkinder, die auf dem Hof Muscas capere spielten. Die ersten wärmenden Sonnenstrahlen hatten die Kinder aus ihren bescheidenen Quartieren gelockt, und »Blinde Kuh« gehörte zu ihren Lieblingsspielen. Hin und wieder rief Carnicia, die alte Magd, sie zur Ordnung, aber schon Sekunden später ertönte das Triumphgeheul so laut wie zuvor, wenn eines der Kinder mit den verbundenen Augen ein anderes gefangen hatte.
Im ersten Stock des Haupthauses lag Dirana, die fiebernden Augen sehnsüchtig zu dem kleinen Fenster gewendet, an das eine große Linde mit ihren nackten, blattlosen Zweigen regelmäßig kratzte. Sie freute sich über das glockenhelle Lachen der Kinder und wäre am liebsten mitten unter ihnen gewesen. Ein tiefer Seufzer brachte den Körper der Fiebernden kurzzeitig in Bewegung. Marcus hatte sie schon seit zwei Tagen nicht mehr besucht, aber Dirana ahnte den Grund. Wenn es seine Zeit erlauben würde, würde er kommen, und sie könnte ihn voller Liebe in ihre abgezehrten Arme schließen, so wie den kleinen Titus, der jeden Tag wieein Sonnenschein kam, geduldig Stunden an ihrem Bett verbrachte und das Herz der Kranken wärmte.
Nachdem die Wunde anfangs einen prächtigen Heilungsverlauf genommen hatte, war nun seit zwei Tagen das Fieber gekommen. Peliodoros, der griechische Arzt aus Colonia Agrippinensium, hatte nachdenklich den Kopf geschüttelt. Das wollte ihm nicht gefallen, und vor allem hatte er keine Erklärung dafür, denn die Wunde war fast schon verheilt und sonderte keinen Eiter ab. Sie war nicht heiß und von blassroter Farbe, alles günstige Zeichen. Und doch war das Fieber gekommen, und nichts schien dagegen zu helfen. Mehrfach schon hatte Peliodoros die kranke Frau zur Ader gelassen, hatte ihr mit Kräutern versetzte bittere Säfte eingeflößt, aber nichts half. Zuletzt hatte man gar aus Burungum eine weise alte Frau kommen lassen, die im Ruf stand, sich mit Krankheiten aller Art besonders auszukennen. (Peliodoros durfte das gar nicht erfahren, er wäre sonst tödlich beleidigt gewesen.) Aber auch das alte germanische Weib mit den vielen Runzeln und Warzen, die ihrem Gesicht etwas Hexenhaftes verliehen, hatte das Fieber nicht vertreiben können. Sie hatte merkwürdige Sprüche über der Kranken gemurmelt, Kräuter und andere aromatische Pflanzen im Zimmer verbrannt und zuletzt den willenlosen Körper Diranas mit einer übel riechenden Salbe bestrichen – aber umsonst. An Pflege und Mühe lag es also nicht.
Täglich brachte man ihr frische, kräftigende Hühnerbrühe, duftendes braunes Brot, knackige rote Äpfel und dazu einen lieblichen roten Wein. Aber seit das Fieber da war, hatte Dirana bis auf ein paar Löffel Brühe alles zurückgehen lassen. Der bloße Gedanke an irgendeine Nahrungsaufnahme verursachte in ihr ein starkes Gefühl von Übelkeit. Stundenlang saß auch die Freundin Antonia an ihrem Bett, tupfte die heiße Stirn mit kühlenden Umschlägen und sprach ihr gut zu. Sie machte sich große Sorgen und hatte schon mit dem Gedanken gespielt, Valerius eine Nachricht zukommen zu lassen, aber der Vater hatte ihr abgeraten: »Marcus Valerius ist zur Zeit sicher sehr beschäftigt. Man munkelt, dass es in der Stadt zu mehreren Mordfällen gekommen ist, und er hat sie aufzuklären. Auch der Statthalter ist zurückgekehrt und beansprucht ihn sicher. Wenn er die Zeit findet, wird er kommen, also lass ihn in Ruhe arbeiten. Wir werden das Fieber schon vertreiben.«
Einzig der gestrige Besuch von Maternus hatte etwas Freude auf die bleichen Züge der Fiebernden gezaubert. Lange hatten sie gesprochen, und Maternus hatte ihr wieder von seinem Herrn Jesus Christus erzählt, was Dirana mit atemloser Neugier aufgenommen hatte. Und dann hatte Dirana ihm von ihrem größten Wunsch erzählt: Sie wollte getauft und damit in die kleine Gemeinde der Christen aufgenommen
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