Agrippina - Kaiserin von Rom
alles. Hinter seiner plötzlichen Einberufung und dem Verkauf Diranas steckte Tullius Torquatus Niger. Aber der Schwarze war nur Gehilfe, so wie Pallas, der den Befehl unterzeichnet hatte. Hinter allem aber konnte niemand anders stehen als – Agrippina, die Augusta selbst. »Vertrau nicht der Kaiserin« – der warnende Zettel fiel ihm wieder ein. Wer mochte ihn wohl geschrieben haben? Und welches Interesse hatte die Kaiserin daran, dass seine Mission scheiterte? Erst schickte sie ihn persönlich in die Ubierstadt, um die Mordserie aufzuklären. Und dann tat sie alles, um ihn davon abzuhalten. Auch die Anschläge auf sein Leben waren offensichtlich von ihr gesteuert worden, was alles nur noch geheimnisvoller machte. Was bezweckte die Kaiserin?
Aber nun galt es zunächst, die Strafexpedition gegen die Sugambrer hinter sich zu bringen. Valerius vermochte selbst dieser Tatsache etwas Erfreuliches abzugewinnen. Als Prätorianertribun war man von allen Kampfeinsätzen abgeschnitten. Jeden Tag Wache, Patrouille im Palast, Routine. Ein echter Kampfeinsatz im Germanengebietwar nicht zu verachten, ohne Zweifel. Hier ließen sich Ruhm und Ehre eher gewinnen als im kaiserlichen Palast. Und dann noch mit Gaius Tullius Eximius, seinem besten Freund. Nun gut!
***
Die Expedition begann bei strömendem Regen, an den Nonen Iuniis des Jahres 54 v. Chr. Nördlich von Colonia Agrippinensium hatten sich die Truppen in einer Gesamtstärke von knapp sechstausend Mann vereinigt, einschließlich der zweihundertvierzig gallischen Reiter. Sie wurden von den Schiffen der Castra Vetera übergesetzt. Manlius Flaminius Cotta leitete persönlich den Einsatz, und auch Flavius Spurinnus war mit seiner Diana dabei. Noch vor Einbruch der Dunkelheit hatte das gesamte Heer den Rhenus überquert und ein festes Lager aufgeschlagen. Das bedeutete zunächst die übliche Lagerroutine: Land abmessen, Graben ausheben, Wall anlegen, Wall mit Palisaden sichern, Tore einrichten. Das meiste davon hatten bereits die Pioniere der Vorhut erledigt. Während Valerius die weiteren Schanzarbeiten in seinem Abschnitt überwachte, bezog eine andere Kohorte ihre Wachposten, und die beiden gallischen Reitereinheiten schwärmten nach allen Seiten aus, um mögliche Feinde aufzuspüren. Aber von Germanen war weit und breit nichts zu sehen. Dann wurden die Zelte aufgeschlagen. Danach konnten die Soldaten in ihren kleinen Handmühlen das Mehl für ihren Puls malen, ihn würzen und schließlich in Öl braten. Die Offiziere wurden von ihren Sklaven versorgt – auch Valerius hatte Argober mitgenommen –, sofern sich nicht, wie am heutigen Abend, der Stab zum gemeinsamen Essen mit dem Legaten im geräumigen Feldherrnzelt traf.
Aufmerksam beobachtete Valerius die Tischgesellschaft. An der einen Seite des Legaten saß der Quaestor, ein feiner älterer Mann namens Publius Maronius. Auf der anderen Seite der vertraute Adjutant des Legaten, der Praefectus fabrum, ein finsterer, grobschlächtiger Mann namens Quinctilius Gambrinus. Die Tafel wurdeergänzt durch sechs Tribunen, unter ihnen auch Gaius Tullius, der Valerius freundlich zuzwinkerte. Zwei Tribunen waren mit ihren Männern auf Wache.
Das Essen war einfach, aber schmackhaft. Nach all den Köstlichkeiten, die Valerius in der Ubierstadt genossen hatte, musste er sich zwar erst wieder an Schweinswürstchen mit Kohl und Lauch gewöhnen, der ungewohnte Marsch, wenn auch zu Pferd, und die frische Luft aber hatten für einen guten Appetit gesorgt. Während sie aßen, skizzierte Iunius Silanus den geplanten Verlauf der Aktion und zeichnete auf einer Karte die Marschrouten ein. Vorgesehen war ein Vorstoß in nördlicher Richtung durch den Silva Caesia bis zur Rura . Dort grenzte das Stammesgebiet der Sugambrer an die Gebiete der Bructerer und der Marser. Alleiniges Ziel aber seien die Sugambrer, betonte der Legat, weil diese durch ihr aufsässiges und unbotmäßiges Verhalten Rom über Gebühr gereizt hätten. Es bestünde nicht die Absicht, und dabei hob der Legat die Stimme und blickte seine Stabsoffiziere durchdringend an, den römischen Machtbereich über den Rhenus hinaus zu verlagern. Das sei seit jener verhängnisvollen Niederlage des Quinctilius Varus vor fünfundvierzig Jahren nie mehr Bestandteil römischer Okkupationspolitik gewesen. Es handele sich um eine Strafexpedition, wie Cäsar sie einst über den Rhein geführt habe, nicht um einen Eroberungsfeldzug. Im Übrigen erwarte man keinen größeren Widerstand, weil der
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