Ahnentanz
Aidan erneut.
Er kannte einen Ort mit einer unbefestigten Straße. Die Auffahrt zu seinem Haus.
Nachdem er sich von Hal verabschiedet hatte, wollte Aidan direkt zur Plantage hinausfahren, doch ein Anruf von Matty ließ ihn umkehren.
Da sie sich beide in der gleichen Gegend befanden, kamen sie überein, sich in einem Café direkt gegenüber vom Bahnhof zu treffen. Als sie ihn erblickte, kam sie auf ihn zu, umarmte ihn und küsste ihn auf die Wange. Tränen standen in ihren Augen.
„Ich danke dir, Aidan.“
Oh Gott, stahl sie ihm seine Zeit, nur um Danke zu sagen?
Nicht dass er das nicht zu schätzen wusste, doch ein paar Worte am Telefon hätten es ebenso gut getan. Und wofür wollte sie ihm eigentlich danken? Er hatte nachgewiesen, dass ihr Mann sie betrog.
„Matty, gerne. Aber …“
Sie setzten sich. „Ich weiß, dass er ein Mistkerl war. Aber gestern Abend bat er mich um Hilfe, Aidan. Er weinte , Aidan. So habe ich ihn noch nie gesehen. Er sagte, es täte ihm leid, dass er sich mit dieser Frau eingelassen habe und dass er wüsste, wie albern er sich manchmal benehme. Aber er sagte, er hätte Angst. Wie die Jahre vorbeiziehen würden. Und er hat nicht immer die Beförderungen erhalten, die er sich gewünscht hat, und er musste sich einfach nur beweisen, dass jemand anders ihn aufregend fand. Ich schätze, das ist meistens der Grund, warum Männer fremdgehen, oder? Ich sagte ihm, er hätte lieber unsere Ersparnisse für einen Porsche verprassen sollen. Doch nun hat er Angst, hat wirklich Angst. Er sagt, dass das Mädchen, mit dem er sich getroffen hat, vermisst wird und dass erbei ihr draußen war. Er hat mir geschworen, dass er niemals jemandem etwas zuleide getan hat, und ich glaube ihm, Aidan. Er mag in Schwierigkeiten stecken, doch er braucht mich jetzt, und ich werde ihm beistehen.“
„Das ist schön, Matty“, sagte Aidan, der es sich nicht verkneifen konnte, auf die Uhr zu sehen.
„Ich weiß, dass du viel zu tun hast, Aidan, du musst nicht bleiben. Ich möchte dich nur um einen Gefallen bitten.“
„Welchen?“
„Ich möchte, dass du auch sein Freund bleibst, Aidan. Er vergöttert dich, hat er immer getan, weißt du. Er bewundert dich. Du … du hast einfach den Dienst quittiert. Du bist fortgegangen und hast deine eigene Karriere gemacht. Du hast dich niemals darum gekümmert, was andere von dir denken. Du bist einfach losgezogen und hast getan, was du für richtig hieltest.“
„Matty, ich hatte meine Frau verloren. Ich musste mein Leben ändern.“
Sie winkte mit ihrer manikürten Hand ab. „Das verstehe ich. Dennoch würde es viel bedeuten, wenn …“
„Ich werde sein Freund sein, Matty“, versprach Aidan. Solange er sich nicht als durchgeknallter Killer entpuppt, fügte er in Gedanken hinzu. Denn wer war ein besserer Verbrecher als ein Cop, jemand, der wusste, wie man Spuren vermied?
Sie verabschiedeten sich, und Aidan fuhr hinaus zur Plantage. Dort angekommen, hörte er den Lärm der Arbeiter und winkte dem Bauleiter zu, der auf der Veranda mit einem Maler sprach.
Doch er hielt nicht an, sondern ging direkt zum Friedhof.
Er setzte sich auf den Sarkophag von Henry LeBlanc und musterte den Ort. Er sah noch immer die kleinen Hügel, wo er die Gräber wieder aufgeschüttet hatte.
Ein Friedhof. Wo konnte man eine Leiche besser verstecken?
Würden seine Brüder ihn für verrückt halten, wenn er denganzen Friedhof umgraben ließ?
Die Kosten wären astronomisch. Durfte er das überhaupt ohne Gerichtsbeschluss?
Und was, wenn er nichts fand?
Der weinende Engel auf dem nächsten Grabstein gab keine Antwort.
Aidan stand und auf schlenderte zum Familienmausoleum. Er stieß die schmiedeeiserne Tür auf und ging hinein.
Die Strahlen der Abendsonne fielen auf das Kreuz auf dem kleinen Altar, das das Licht wie ein Prisma reflektierte und den Innenraum in sanfte Pastelltöne tauchte. Der Ort hatte eine friedvolle Atmosphäre. Er fuhr mit der Hand über die beiden Marmorsärge in der Mitte. Sie waren komplett versiegelt.
Er kontrollierte auch die Dichtung der Wandsärge.
Nirgendwo ein Riss oder ein Spalt.
Mit dem drängenden Gefühl, dass ihm etwas entging, verließ er das Familienmausoleum und ging zurück Richtung Haus.
Auf dem Weg sah er kurz nach oben, und dort auf dem Balkon war die weiße Frau. Eine Frau in einem weißen Kleid, das sich im Wind bauschte, im gleichen Wind, der in ihrem tiefroten Haar spielte. Sie deutete auf etwas, und sie schien mit der gleichen
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