Aibon-Teufel
gezwungen.«
»Moment, das verstehe ich nicht. Wieso waren Sie gezwungen? Was hat Sie dazu getrieben?«
»Das verstehen Sie nicht«, flüsterte er.
»Versuchen Sie es.«
»Es – ich meine, sie ist ein Opfer gewesen. Ein Opfer für die andere Seite, die immer wieder zum Vorschein kommt und sich das holt, was man ihr gibt.«
»Leichen?«, fragte Maxine leise.
»Genau – Leichen.«
Die Tierärztin verdrehte die Augen. Sie schaute mich an, weil sie nicht wusste, was sie davon halten sollte.
Ich übernahm wieder das Wort. »Sie haben von einer anderen Seite gesprochen, Mr. Holbrook. Sagen Sie mir, was Sie damit gemeint haben und wer sich dahinter verbirgt.«
»Das kann ich nicht.«
»Warum nicht?«
»Weil ich noch nicht drüben war. Ich kenne sie nicht. Aber sie kommen rüber. Der Wald ist die Grenze.«
»Sie sprechen vom Pitmiddle Wood?«
»Genau. Er ist verflucht. Dort scheint alles normal zu sein, aber das ist es nicht, das kann ich Ihnen sagen. Die Wirklichkeit sieht ganz anders aus, verdammt.«
»Wie denn?«
»Sie kommen von der anderen Seite rüber. Wir können nicht dorthin, und das ist auch gut so. Aber sie schaffen es. Das ist das reine Grauen, kann ich Ihnen sagen. Die Monster holen sich die Opfer. Sie sind Teufel, Aibon-Teufel.«
Ich stutzte.
Der Name Aibon war gefallen. Holbrook hatte das Paradies der Druiden erwähnt, und ich hatte das Gefühl, dass das Blut in meinen Adern zu kochen begann.
»Aibon«, flüsterte ich, »verdammt, das ist es!«
Ich wusste jetzt, dass Holbrook nicht gelogen hatte. Es war auch zu sehen, wie fertig er mit den Nerven war. Er senkte den Kopf und fing an zu weinen, wie jemand, der sich seiner Taten schämt.
Dabei musste er loswerden, was ihm auf der Seele brannte. Auch wenn er schwer zu verstehen war, hörten wir ihm zu und erfuhren, dass die Menschen aus Kinnaird schon seit Jahren geopfert wurden. Nicht alle, die gestorben waren, aber ein gewisser Prozentsatz schon. Nur so konnte der Aibon-Teufel ruhig gestellt werden.
Maxine Wells flüsterte mir zu: »Das hätte ich nicht gedacht, John, dass so etwas dahinter steckt. Mein Gott, das ist ja wie im Mittelalter! Glaubst du es?«
»Ich denke schon. Es gibt Aibon als Druiden-Paradies. Manche bezeichnen es auch als Fegefeuer. Es liegt noch nicht lange zurück, da hatte ich Kontakt zu einem Aibon-Engel, der aber alles andere als ein Engel war, sondern das Gegenteil.«
»Und hier haben wir einen Aibon-Teufel.«
»Genau. Und der Wald ist die Grenze zwischen den beiden Welten, Maxine. Hier ist es passiert. Hier kamen sie aus ihrer anderen Welt hervor und haben sich ihre Opfer geholt.«
»Menschen«, flüsterte sie.
»Zum Glück sind es Leichen, aber darauf bauen werde ich nicht.« Ich wandte mich wieder an Holbrook, der weiterhin auf dem flach gewordenen Erdhaufen saß und ins Leere schaute. »Hören Sie, Mr. Holbrook, können Sie uns dieses Wesen beschreiben?«
Er drehte langsam den Kopf und schüttelte ihn dann. »Nein, das kann ich nicht. Nicht direkt. Es hat sich nie gezeigt und war nur zu hören gewesen. Es schreit, es ist gierig. Es will sich die Menschen holen, die im Wald liegen.«
Er senkte den Kopf. »Ja, auch. Da hörten wir es toben und kreischen. Da hatte es Hunger.«
»Und? Gab es Tote? Ist jemand durch das Monster ums Leben gekommen ?«
»Eine alte Frau. Sie hat nachschauen wollen. Sie wollte den Teufel vertreiben, aber es ist ihr nicht gelungen, denn er war stärker. Als wir sie fanden, hatte sie kein Gesicht mehr.« Er schüttelte sich vor Grauen.
»Gut, Mr. Holbrook, ich möchte, dass Sie jetzt wieder zurück in Ihr Haus gehen.«
Mein Vorschlag erstaunte ihn. »Sie wollen mich nicht einsperren?«
»Warum sollte ich? Sie haben getan, was getan werden musste, und auch wir werden tun, was wir tun müssen. Das kann ich Ihnen versprechen, Mr. Holbrook.«
»Was ist das denn?«
»Überlassen Sie das uns.«
Er stand auf und bewegte sich dabei sehr schwerfällig. »Kann ich die Schaufel mitnehmen?«
»Bitte.«
Er umfasste sie und legte den Stiel über seine Schulter. Dann ging er mit schleppenden Schritten davon und drehte sich nicht einmal um. Harold Holbrook tat uns Leid.
Auf Maxine’s Gesicht hatte sich eine Gänsehaut gebildet.
»Schicksale gibt es«, sagte sie leise und schüttelte den Kopf. »Ich möchte nicht mit ihm tauschen.«
»Das musst du auch nicht«, erwiderte ich.
»Und was machen wir jetzt?«
»Es gibt nur eine Möglichkeit: Wir fahren zum Zentrum des Geschehens. Der
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