Aina - Herzorgasmus
Krankenhaus, das seinen Hund beschützt hatte. Sie schlief, als Aina mit den Eltern des Mädchens das Zimmer betrat. Sie betrachtete ihr erschöpftes Gesicht und glaubte fast ihren Schmerz spüren zu können. Sie konnte sich so gut in dieses Mädchen hinein fühlen. Sie hätte genauso gehandelt, wenn es ihr Hund gewesen wäre. Sie hätte sich erschlagen lassen, um jemanden zu schützen, den sie liebte. Ihr kamen bei diesen Gedanken die Tränen. Sie hatte heute so viel Leid gesehen. So viel Schmerz. Doch der Anblick dieses Mädchens übertraf alles. Sie wusste nicht, warum. Vielleicht, weil dieses Mädchen sie an sie selbst erinnerte. An ihre aufopfernden Bemühungen, die Menschen vor Leid zu bewahren. Würde sie ebenso daran zerbrechen, wie dieses Kind? Würde sie das Leid und der Schmerz irgendwann erschlagen? Heute hatte sie sich fast so gefühlt. All das Leid stieg ihr über den Kopf und der Schmerz, den sie mit den Menschen empfand, war kaum noch zu ertragen. Sie dachte wieder an Andis Worte. Es sind immer die guten Menschen, die an dieser Welt zerbrechen. Würde sie ihren Kampf überleben?
»Sie liebt Babbi über alles«, sagte die Mutter plötzlich unter Tränen. »Er hat keinen Kratzer abbekommen und tollt zu Hauseherum, als wäre nichts gewesen.«
Aina sah sie mitfühlend an und berührte ihre Schulter. »Genauso hat sie es doch gewollt«, kam es aus ihr heraus.
Die Frau riss nun erschrocken die Augen auf und im selben Augenblick biss sich Aina auf die Lippe.
»Wegen diesem Köter schwebt sie in Lebensgefahr!«, schrie der Vater sie jetzt an.
»Tut mir leid«, entschuldigte sich Aina sofort. »Ich wollte damit nur sagen…«
»Es ist mir egal, was Sie sagen wollen! Es wäre mir lieber gewesen, wenn dieser Flohsack dabei draufgegangen wäre! Sie kann doch nicht ihr Leben für einen Hund aufs Spiel setzen!«
Aina sah das Mädchen wieder an. Oh doch, das kann sie, dachte sie. Und wie sie das kann. Plötzlich verstand sie, warum die Geschichte dieses Mädchens sie so sehr berührte. Es war ihre Geschichte. Sie opferte sich ebenso für etwas auf, das niemand verstand. Für etwas, das sie liebte. Und es war ihr egal, wenn sie deshalb jemand als dumm oder verrückt bezeichnete. Sie wollte die Menschen glücklich und unversehrt sehen. So, wie dieses Mädchen ihren Hund glücklich und unversehrt sehen wollte. Sie hatte ihr Ziel erreicht. Auch, wenn es sie fast das Leben gekostet hatte. Aber war das nicht etwas, das man respektieren sollte? Etwas, das man ehren sollte? Wenn jemand solche Opfer bringt, um jemanden zu schützen?
Aina sah die Eltern des Mädchens an und sagte lieber nichts mehr. Sie waren zu erschüttert, um ihre Gedankengänge verstehen zu können. Sie wusste nicht einmal, ob überhaupt jemand ihre Gedanken verstehen konnte. Bis auf dieses Mädchen. Sie hoffte, dass sie es schaffte. Denn sie wollte ihr danken. Dafür, dass sie ihr bewusst gemacht hatte, wofür sie das hier alles tat. Und dass es okay war all das zu tun. Dass es nicht verrückt und auch nicht dumm war. Es war einfach genau das,was ihr Herz ihr sagte. Und sie würde nicht aufhören, bis sie ihr Ziel erreicht hatte. So, wie dieses Mädchen.
Aina nahm ihre Notizen an diesem Tag mit nach Hause. Sie hatte keine Lust noch einmal in die Redaktion zu fahren. Bei dem Chaos hätte sie sich sowieso nicht konzentrieren können, um ihren Artikel zu verfassen. Als sie gerade ihre Wohnungstür aufschloss, rief Christin sie auf dem Handy an.
»Hey, wie war's beim Förster?«, fragte Aina fröhlich und hoffte, dass man über das Telefon nicht hörte, wie erschöpft sie war. Sie wollte niemandem zeigen, wie sehr sie die Schicksale der Menschen mitnahmen. Und vor allem, wollte sie es sich selbst nicht eingestehen. Aber es kam keine Antwort von Christin. Stattdessen hörte sie nur ein schweres Atmen. Sie ließ die Tür ins Schloss fallen. »Christin?«
»Er«, hauchte ihre Freundin ins Telefon, »ist tot.«
Aina erstarrte.
»Er lag einfach da…«, sie fing an zu weinen, wobei ihre Stimme nur noch mit einem Kieksen hervor kam, »mit aufgerissenen Augen.«
In Ainas Gedanken blitzte sofort das Gesicht des Mannes auf, den sie in ihrem Traum ermordet hatte. Er hatte ebenfalls mit aufgerissenen Augen dagelegen. Ihr Herz begann zu rasen.
»Es war grauenhaft. In seinem Gesicht war so viel Schrecken. So viel Angst.«
Aina ließ sie einfach erzählen. Sie wollte sie ihren Ballast von der Seele reden lassen. Oder vielleicht war sie auch einfach nicht
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