Aina - Herzorgasmus
eine solche Ehre dieselbe Luft zu atmen wie sein König. Wie sein Gott. Auf demselben Boden zu stehen, wie Er. Langsam, fast wie in Zeitlupe erhob er sich aus dem Wagen und richtete sich selbstsicher und erhobenen Hauptes zu seiner stattlichen Größe auf. Und als er mit langsamen Schritten auf das Schloss zuging, beobachtete Peter voller Faszination seine fließenden Bewegungen. Sie waren so geschmeidig, als gäbe es keinen Knochen in seinem Körper und keine Schwerkraft auf diesem Planeten. So weich und flüssig. Sein pechschwarzes Haar wehte in dem lauen Lufthauch; dem Wind, den er zur Ruhe gezwungen hatte. Sein Tosen und Wirbeln war nur die natürliche Reaktion seiner Anwesenheit gewesen. Er war das Chaos. Und eben dieses rief er hervor. Überall wo er war. Doch seine Macht war der Zwang. Ein Zwang, dem nichts und niemand widerstehen konnte und durfte. Wenn er dem Wind befahl still zu sein, so wurde er still. Er wollte diese Stadt schließlich nicht zerstören. Er war nur hier, um nach dem Rechten zu sehen. Und um die Unebenheiten auszubügeln, die Peter verursacht hatte.
Sein weißes Hemd schmückte seine makellose, bleiche Haut, wie der Schnee sein Anwesen schmückte und sein schwarzer Mantel, so locker und offen über seine Schultern geworfen, wehte gemächlich mit jedem Schritt hin und her. Sein Gesicht war aus der Ferne jedoch kaum zu erkennen. Es war verdeckt von seinem im Wind wehenden Haar. Er sah nur, dass er plötzlich den Kopf in seine Richtung bewegte. Und er blieb nicht einmal stehen, um das zu tun, was er jetzt vollstreckte.
Peter klammerte sich an dem Baum fest und stieß vor Schmerzen einen kehligen, knurrenden Laut aus. Er spürte, wie er nach seinem Leben griff. Und er zerquetschte es in seiner Hand wie einen Käfer. Sein Körper löste sich spürbar auf. Der Tod kroch ihm durch die Adern und zerstörte ihn von innen heraus. In den letzten Sekunden seines Daseins hörte er ein leises Lachen. Kalt, böse und ewig überlegen.
6
Gefühle
Die ganze Redaktion war in heller Aufruhr. Das Unwetter war das Gesprächsthema Nummer Eins und jede andere Nachricht, selbst wenn sie noch so bedeutend für diese Stadt oder gar für die Welt war, fiel von den Tischen. Es wurden Wetterexperten interviewt, Betroffene befragt, Polizei und Feuerwehrleute besucht und sogar Wissenschaftler und Reporter aus großen Städten reisten an, um in Erfahrung zu bringen, was in dieser Stadt geschehen war. Der finanzielle Schaden, den die Stadt davongetragen hatte, stieg stündlich an. Das Telefon lief heiß. Jeder stürzte sich auf die Katastrophe wie auf das letzte Stück Brot der Welt. Alle wollten darüber berichten, wie schwer verletzt die Menschen waren, wie dramatisch der Tod einiger Kinder und Senioren war, die vom Hagel erschlagen worden waren und wie zerstörerisch sich der finanzielle Schaden auswirken würde. Niemand interessierte sich für die Heldentaten einiger Polizisten und Feuerwehrleute. Oder für die Menschen, die im Krankenhaus lagen, weil sie jemanden hatten beschützen wollen. Ein Mädchen hatte sich mitten auf der Straße über ihren Hund gebeugt, um ihn vor dem sicheren Tod zubewahren, der ihn bei dieser Katastrophe ereilt hätte. Sie schwebte nun in Lebensgefahr. Ihr Körper war vom Hagel zertrümmert worden. Niemand sah, dass da draußen nicht nur eine Katastrophe gewütet hatte, sondern dass in gleichem Maße auch die Menschlichkeit zum Vorschein gekommen war. Obwohl ein jeder von denselben panischen Gefühlen heimgesucht worden war. Ein Phänomen, das Psychologen aus dem ganzen Land anlockte.
Aina sah sich das Spektakel eine Weile an, stand dann auf und verließ ihren Schreibtisch. Sie suchte das Getümmel nach ihrer Kollegin Christin ab und sah sie in das Büro ihres Chefs flitzen. Als sie nach etwa fünf Minuten wieder herausstürmte, fing Aina sie ab.
»Wo schickt er dich hin?«, fragte sie ihre Freundin.
»Zum Förster«, antwortete Christin schnell und huschte an ihr vorbei.
Aina lief ihr hinterher.
»Der Glüher hat wohl auch einen ziemlichen Schaden abbekommen«, fügte sie noch hinzu und schnappte sich ihre Jacke, als sie an ihrem Schreibtisch ankam.
»Glieherforst«, berichtigte Aina sie. Sie mochte es nicht, wenn dieser Wald, der so dunkel war, dass sich schon unzählige Menschen darin verlaufen hatten, Glüher genannt wurde. Auch, wenn es irgendwie hübsch klang. An diesem finsteren Teufelsschlund gab es nichts Glühendes.
»Schon gut«, seufzte Christin. »Ich weiß! Ich
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