Aina - Herzorgasmus
Eine eiskalte, schneidende Energiewelle brach aus ihm heraus und warf alle im Raum zurück. Walter jedoch warf sie auf den Boden, wo er sich stöhnend das Gesicht festhielt und sich zur Seite rollte.
»Papa?!« Aina lief sofort zu ihm, nahm seine Hand weg und sah mit Entsetzen tiefe Schnittwunden, die quer über sein Gesicht verliefen und ihm bis hinunter zur Brust reichten. Sie klafften weit auf und zeigten weißes Fleisch. Aina wurde übel. Doch dann hörte sie, wie Rece den Raum verließ. Sie wandte sich zu ihm um und sah noch sein schmerzverzerrtes, entschuldigendes Gesicht.
»Tut mir leid, Aina«, flüsterte er. »Ich locke sie von hier weg.«
»Rece, warte!!« Sie lief ihm hinterher, doch er war viel zu schnell verschwunden. Sie wusste nicht, ob es der Sturm war oder er, der die Tür vor ihrer Nase zuschlagen ließ. Sie ging erst einmal wieder hinein und kümmerte sich um ihren Vater, während das Unwetter immer schlimmer wurde. Sie lief schnell ins Bad, holte eine Schüssel Wasser und ein Tuch und setzte sich zu ihrem Vater auf die Couch. Er hatte seinen Kopf auf Alvas Schoß gelegt und Aina tupfte sorgfältig seine Wunden ab. Sie erinnerten sie an die Wunden der Frau, mit der all das Unheilbegonnen hatte. Doch so sehr sie das Leid ihres Vaters auch bedauerte, wenn sie in dieser Nacht nicht auf den Vampir getroffen wäre und ihn angegriffen hätte, wäre sie Rece womöglich nie begegnet. Und das hätte sie ihr Leben lang bedauert. Sie hätte ihr Leben lang diese Sehnsucht gespürt und nicht gewusst, woher sie kam. Sie hätte Nacht für Nacht in ihrer Wohnung gesessen und das Mondlicht angebetet, ahnungslos darüber, was es war, das sie begehrte. Doch jetzt wusste sie es. Es war immer er gewesen. Er. Die Dunkelheit. Die Nacht. Ihr Gegenpol. Ihre Sehnsucht war der Wunsch nach Einheit gewesen. Eine Einheit, die sie wohl nie wieder so sehr spüren würde, wie mit ihm.
Es dauerte nicht lange, da begann Alva plötzlich panisch nach Luft zu schnappen. Auch Walter hielt sich die Hand an die blutverschmierte Kehle und rang nach Luft. Aina sprang auf und sah Ramon an. »Sie sind hier«, sagte sie und versuchte ruhig zu atmen. Doch ihr schnürte sich ebenfalls die Kehle zu. Ihr Herz polterte los und Schweißperlen traten ihr auf die Stirn. In ihren Ohren rauschte es.
»Er hat es nicht geschafft«, flüsterte Ramon mit einer tief traurigen Stimme, die Aina zutiefst erschreckte.
Sie sah ihn entsetzt an. »Was meinst du damit?«
Ramon stand da wie das Elend. Schmerz spiegelte sich in seinem Gesicht wider. Fürchterlicher Schmerz. »Er hätte die Biester aufgehalten, wenn er noch da wäre«, sagte Ramon leise. »Angor muss ihn getötet haben.«
Aina blieb das Herz fast stehen. »Sein Bruder? Nein!« Sie wollte es nicht glauben. Sie konnte es nicht glauben. »Nein!«, schrie sie wieder und lief zur Haustür.
Doch Ramon lief ihr sofort hinterher. »Willst du etwa auch sterben?«, fragte er sie wütend. »Denkst du, das hätte er gewollt? Das lasse ich nicht zu!«
Sie sah ihn panisch an und kämpfte mit den Tränen. »Er kann nicht tot sein! Er kann nicht sterben!«
»Er hat mich gebeten euch zu beschützen und das werde ich tun. Wir verschwinden von hier. Sofort!«
Aina riss sich von ihm los und zog die Haustür auf. Doch sie fiel sofort zu Boden, als sich vor ihr ein riesiger Schatten erhob. Sie bekam keine Luft mehr und ihre Muskeln versagten.
»Raus! Schnell!«, rief Ramon, zog Aina hoch und lief mit ihr zurück ins Wohnzimmer. Doch auch dort standen schon zwei Schattenwesen mitten im Raum. Aina fiel wieder auf die Knie und japste nach Luft. Ihr Vater und Alva knieten ebenfalls ächzend vor den Wesen. Ramon versuchte alles, um sie zu bekämpfen. Doch er wusste nicht, wie er sie vernichten konnte. Er schrie voller Schmerz und Angst um die Menschen, die er beschützen wollte. Die Familie, die ihm, nachdem Rece ihm das Leben gerettet hatte, so wichtig geworden war. Er schaffte es nicht diese Familie zu beschützen. Genauso wenig, wie er seine eigene Familie hatte beschützen können. Der Schmerz darüber zerriss ihn von innen. Ihm schossen die Tränen in die Augen, während er auf die Schatten einschlug und nichts ausrichten konnte.
Aina war kurz davor das Bewusstsein zu verlieren, da hörte sie plötzlich, wie die Haustür aufflog und gegen die Wand knallte. Der Sturm fegte durch die Zimmer und wirbelte Zeitungen und Bücher durch den Raum. Schnee kam herein. Es war eiskalt. Dann kam jemand ins Wohnzimmer.
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