Aina - Herzorgasmus
Tochter, gab ihr einen sanften Kuss auf die Stirn und flüsterte: »Sie werden überall nach dir suchen und nicht aufgeben, bis sie dich gefunden haben, Aina. Rece hat sich seinem Bruder widersetzt, um dich zu schützen. Das macht dich zu seinem größten Feind. Du musst verschwinden. Bleib immer in Bewegung. Lass dich nirgends nieder. Ramon wird dir helfen.« Sie sah Ramon noch einmal an und nickte. »Ich werde einen Weg finden, ihn von dir fern zu halten.« Sie löste ihre Hände von ihrem Gesicht und entfernte sich von ihr. »Ich hab dich lieb, meine Kleine. Immer.«
Aina liefen unablässig Tränen über das Gesicht, als sie zusah, wie sie zur Tür schritt. Sie verließ sie schon wieder. Wie damals. Als sie gerade Luft holen wollte, um sie anzuflehen bei ihr zubleiben, verschwand sie wie ein Schatten aus der Tür. Genauso schnell, wie sie aufgetaucht war. Und sie kam nicht zurück.
31
Abschied
Sie musste ihn einfach suchen. Sie konnte nicht akzeptieren, dass jeder, der ihr etwas bedeutete, einfach aus ihrem Leben verschwand. Erst ihre Mutter und jetzt er. Sie wollte nicht glauben, dass er tot war. Das war nicht möglich! Er war doch das Böse! Wie konnte das Böse einfach sterben? Sie versuchte einen klaren Kopf zu bewahren und über die Polarität nachzudenken, über die er so oft gesprochen hatte und dabei fiel ihr ein, dass sie schon einmal darüber sinniert hatte, wie das Böse aufzulösen war. Indem man die Pole auflöste. Er konnte also sterben. Wenn man seine Pole auflöste oder vereinte. Gut und Böse. Auf einmal durchfuhr sie ein solch eiskalter Schrecken, dass sie abrupt stehen blieb. Hatten sich diese Pole vereint, als er angefangen hatte sie zu lieben? Als sie sich vereint hatten? Er hatte oft genug erwähnt, dass seine Seele dunkel war und böse, dass sie aus Hass bestünde. Aus allem, was schlecht war. Aus dieser Seele heraus war er entstanden und hatte sich seinen Körper erschaffen. Bedeutete das, dass sein Körper sterben konnte, wenn sich die Substanz auflöste, aus der er entstanden ist? Sie hielt sich die Hand an den Kopf. Aber was hatte das mit Angor zu tun? Er konnte doch unmöglich Reces negativen Pol auflösen, um ihn zuvernichten. Er bestand doch selbst aus Negativität. Langsam schwirrte ihr der Kopf. Oder hatte sie ihn umgebracht? Sie, als der positive Pol, der sich mit dem negativen Pol vereint hatte, um Eins zu werden. War es möglich, dass ihn das umbrachte, wenn er nur aus einem einzigen Pol bestand? Sie nahm die Hand runter und sah sich verzweifelt in der Dunkelheit um. Das konnte nicht sein. Er konnte doch nicht einfach verschwinden!
Sie stand mitten auf einer Wiese, durch die ein Fluss hindurch plätscherte. Der Schnee war vom Regen völlig geschmolzen, so dass der Boden unter ihren Füßen matschig und weich war. Sie fror fürchterlich. Sie war einfach losgelaufen, nachdem ihre Mutter verschwunden war. Ohne sich einen Mantel überzuziehen oder einen Schal umzulegen. Ihr Haar klebte ihr in Strähnen im Gesicht und der Regen hatte ihre Kleidung schon völlig durchnässt. Sie umfasste schlotternd ihren Oberkörper und sah sich um. Der Nebel war immer noch nicht ganz verschwunden, so dass sie nicht weit sehen konnte, also schritt sie langsam voran. Manchmal hörte sie Geräusche. Ein Rascheln in der Schwärze der Nacht, das leise Knacksen von Hölzern. Ihr Herz raste vor Angst. Was, wenn sie sie hier fanden? Was, wenn Angor sie fand? Er würde sie kaltblütig umbringen. Doch sie ging trotzdem weiter. Sie musste ihn finden.
Sie fror so sehr, dass ihr Unterkiefer bebte, als sie eine Brücke im Nebel entdeckte. Die Brücke am Stadtrand, die über den Fluss führte. Sie kannte diese Brücke. Als Kind war sie oft hier gewesen. Die anderen Kinder hatten sich nie hierher getraut. Zu nah war der Glüher, den sie alle fürchteten. Sie lag etwas verborgen hinter einem großen Baum. Sie konnte kaum etwas erkennen, aber es sah so aus, als würde dort jemand stehen. Oder spielte ihr die Nacht einen Streich? Etwas bewegte sich darauf. Seltsam schnell. Und ruckartig. Als würde ein Schatten über die Brücke huschen. Stand Rece vielleicht auf der Brücke? Wartete erdort auf seinen Bruder? Ihre Schritte wurden schneller. Immer schneller. Sie kniff die Augen zusammen, um besser erkennen zu können, was sich auf der Brücke abspielte, aber es kam ihr vor, als würde der Nebel immer dichter werden, je näher sie der Brücke kam. Als sie an einer Gruppe von Bäumen vorbei lief, packte sie
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