Airborn 01 - Wolkenpanther
hervor.
Er lachte düster. »Dann sollst du das wieder tun.«
Seine Hände packten mich an den Schultern und versetzten mir einen gewaltigen Stoß. Meine Arme suchten vergeblich nach Halt, meine Füße rutschten vom Rücken des Schiffs und ich fiel.
Zuerst fiel ich rücklings durch die Luft. Instinktiv breitete ich Arme und Beine aus. Die Luft strömte über mich hinweg, teilte sich an meinem Kopf und floss an meinen Schultern entlang über meine Brust und meinen Körper, bis sich der Luftstrom an meinen Beinen verlor. Ich legte einen Arm an und drehte mich zur Seite, bis ich mit dem Gesicht voraus in Richtung Schiffsheck stürzte.
Ich hatte keine Angst.
Genau so war mein Vater gefallen.
Es war das Natürlichste auf der Welt. Ich hatte gewusst, dass es so sein würde – ein sehr weicher und langsamer Fall. Ich hatte Zeit, auf das Meer hinunterzuschauen, und als ich über meine Schulter blickte, sah ich Szpirglas, der mich beobachtete, und den Wolkenpanther, der immer noch am vorderen Krähennest kauerte. Ich starrte nach vorne und sah die riesigen Flossen des Schiffs auf mich zukommen. Mein Sturz führte mich an der Höhenflosse der Steuerbordseite vorbei. Danach würde ich das Schiff endlich hinter mir lassen und es gab nur noch mich und den leeren Himmel.
Wenn mein Vater es konnte, konnte ich es auch. Schließlich war ich in der Luft geboren worden.
Ein Teil meines Gehirns entschied jedoch, dass ich nicht an dem Schiff vorbeisausen, sondern auf ihm landen wollte. Also presste ich meine Beine zusammen, legte die Arme seitlich an, zog Kopf und Schultern ein und lenkte meinen Fall in Richtung Flosse. Meine Geschwindigkeit nahm zu und zum ersten Mal empfand ich so etwas wie Furcht. Ich spreizte die Beine und schob die Arme nach vorne, um den Aufprall abzufangen. Ich kam auf der großen, flachen Flosse auf und spürte, wie meine Handflächen aufgescheuert wurden, während ich versuchte, meinen Aufschlag zu bremsen. Mein Körper brannte wie Feuer, als ich auf das Ende der Flosse zu rutschte. Ich hielt krampfhaft das Kinn in die Höhe, damit ich alles vor mir sehen konnte.
Zwischen den Höhenrudern und der Flosse klaffte eine schmale Lücke. Ich schob Hände und Arme in den Spalt, bekam eine Metallstrebe zu fassen und hielt mich an ihr fest. Mein ganzer Körper zuckte und bäumte sich auf, und ich schrie vor Schmerz, als mein Fall so unsanft gebremst wurde. Ich überschlug mich, sodass ich nun den Schiffsbug vor mir sah, während meine Beine und mein Körper gegen das Höhenruder gedrückt wurden und der Wind mir ins Gesicht peitschte.
Ich konnte nicht fliegen, ich war abgestürzt – ich war keineswegs leichter als Luft.
Ich war einfach vom Himmel gefallen. Brennende Scham erfüllte mich.
Ich war schwer wie ein Stein.
Mein ganzes Leben lang hatte ich mir eingebildet, ich wäre leicht und könnte frei und von allem unbeschwert durch die Luft segeln. Ich wäre leicht und könnte der Traurigkeit entkommen. Ich könnte davonfliegen und für immer durch die Lüfte gleiten.
Aber ich würde niemals meinen Vater einholen können. Er war wie Gilgamesch vom Himmel gefallen, und ich war nicht da gewesen, um ihn mit einer allmächtigen Enkidu-Hand zu retten. Er war von mir gegangen, wahrhaftig und endgültig verschwunden, und auf einmal holte mich alles wieder ein, all die Jahre, in denen ich auf der Aurora vor meiner Familie und meiner Trauer geflohen war.
Ich hatte keine Chance, die Flosse wieder hinaufzuklettern, und ich wusste, dass ich mich nicht mehr lange festhalten konnte. Meine Hände würden schwächer werden, meine Finger würden nachgeben und ich würde abrutschen und in einem letzten, unrühmlichen Fall in die Wellen hinabstürzen.
Über mir auf dem Rücken des Schiffs sah ich Szpirglas stehen, das Gesicht zu mir gewandt. Bestimmt konnte er mich im Tageslicht sehen, da sich mein dunkles Hemd deutlich von der silbernen Schiffshülle abhob. Der Wolkenpanther kauerte ebenfalls noch dort oben. Lieber konzentrierte ich mich in meinen letzten Sekunden auf ihn als auf Szpirglas.
Da geschah etwas Unglaubliches. Da der Wolkenpanther unmöglich gestolpert sein konnte, musste er aus freien Stücken gesprungen sein. Seine Flügel breiteten sich aus und er glitt vom Rücken des Schiffs. Sein missgebildeter linker Flügel wollte sich jedoch nicht ganz öffnen und so trudelte der Wolkenpanther hilflos durch die Luft und fiel viel zu schnell nach unten.
Wieder stürzte er vom Himmel, so wie damals, als er geboren
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