Airborn 01 - Wolkenpanther
Halluzinationen, das haben sie dazu gesagt. Und dass wir das Ganze am besten vergessen sollten. Darum habe ich selbst einen Brief an die Zoologische Gesellschaft geschrieben!«
Ich blinzelte.
»Ich konnte doch nicht zulassen, dass meine Eltern verhindern, dass dies in der Welt bekannt wird! Immerhin handelt es sich um eine sehr wichtige Entdeckung – eine ganz neue Spezies! Ich schrieb also einen Brief, in dem ich mehr oder weniger beschrieb, was mein Großvater gesehen hatte. Ich fragte, ob sie Interesse hätten, ein Faksimile seines Logbuchs zu sehen, weil ich der Ansicht sei, er habe eine großartige Entdeckung gemacht.«
»Haben Sie eine Antwort erhalten?«
»Oh ja.«
Sie zog einen Brief aus ihrer Handtasche. Er war zu einem Quadrat zusammengefaltet und an den Kanten schon ganz mürbe, weil sie ihn so viele Male aufgeklappt und wieder zusammengefaltet hatte, dass er nun fast in Stücke fiel. Ich konnte mir ihr Gesicht gut vor stellen, wenn sie ihn las und jedes Mal aufs Neue wü tend wurde. Rasch überflog ich die wenigen Zeilen:
Sehr geehrte Miss de Vries, v ielen Dank für Ihren Brief. Als Erstes möchten wir Ihnen sagen, wie betrübt wir waren, als wir vom Tod Ihres Großvaters hörten. Wir wünschen Ihnen und Ihrer Familie viel Kraft in dieser schweren Zeit. Wir wissen es sehr zu schätzen, dass Sie sich die Zeit genommen haben, uns von den Beobachtungen Ihres Großvaters während seiner Reise zu berichten, der Entdeckung einiger »geflügelter Säugetiere«.
Wir sind fest davon überzeugt, dass eine solche Spezies, sollte sie tatsächlich existieren, schon vor langer Zeit gefunden und dokumentiert worden wäre. Jedes Jahr werden angeblich Hunderte monströser Kreaturen zu Lande, zu Wasser und in der Luft entdeckt, jedoch ohne belegbare Beweise. Deshalb halten wir es als Vertreter der Wissenschaft für unsere Pflicht, Sie höflichst darauf hinzuweisen, dass Ihr Großvater über keinerlei wissenschaftliche Ausbildung verfügte und in seinem damaligen Gesundheitszustand möglicherweise zusätzliche Probleme beim Beobachten der Tiere hatte …
»Zusätzliche Probleme beim Beobachten der Tiere«, spottete Kate, die über meine Schulter hinweg mitlas. »Sie meinen, er hätte Halluzinationen gehabt. Warum bezeichnen sie ihn nicht gleich als senilen Tattergreis!« Ich drehte mich ein wenig zur Seite, um den Brief zu Ende lesen zu können.
Daher möchten wir Ihnen raten, sich die Aufzeichnungen Ihres Großvaters aus dem Kopf zu schlagen und sich Aktivitäten zuzuwenden, die den Interessen einer jungen Dame eher entsprechen.
»Sind Sie schon bei dem Teil über die ›Interessen einer jungen Dame‹?«, wollte sie wissen.
»Ich lese es gerade.«
»Ich vermute, sie meinen damit Socken stopfen oder Sticken oder eisgekühlte Butterkugeln für das Abendessen ausstechen.«
»Vermutlich«, sagte ich. »Darf ich den Brief eben fertig …«
»Sie brauchen aber lange«, sagte sie.
Ich ließ den Brief sinken. »Sie unterbrechen mich ja auch ständig.«
Offenbar merkte sie, dass sie sich wie eine Nervensäge benahm, denn sie senkte beschämt den Blick zu Boden.
Der Rest des Briefs bestand nur noch aus »Beste Wünsche an …« und »Mit besten Grüßen …« und »Herzlichen Dank für Ihr Interesse an der Zoologischen Gesellschaft …« und so weiter. Unterschrieben war er von einem gewissen Sir Hugh Snuffler. Ich konnte ihn förmlich vor mir sehen. Klein, mit schütterem Haar und einer lauten, dröhnenden Stimme.
»Arrogante, alte Säcke«, murmelte Kate. »Als hätten sie jeden Quadratzentimeter der Erde schon erforscht. Als hätte irgendjemand das getan. Und was ist nun mit Ihnen?«, rief sie fast.
»Was soll mit mir sein?«
»Sie fliegen doch schon seit Jahren durch die Welt, oder?«
»Naja, seit drei Jahren, genau gesagt.«
»Und wie viel vom Himmel haben Sie schon durchreist?«
»Hm, so gesehen eigentlich nicht sehr viel.«
»Eben. Schiffe haben ihre vorgegebenen Routen und weichen nur dann von ihnen ab, wenn es unbedingt nötig ist, wie Sie vorhin selbst gesagt haben. Das bedeutet, es gibt noch Millionen und Abermillionen an unerforschtem Himmelsraum.«
Ich nickte. »Sie haben Recht.«
»Und wie lange gibt es die Luftschifffahrt überhaupt schon?«
»Etwa fünfzig Jahre.«
»Mit anderen Worten, erst seit sehr kurzer Zeit. Wie können die dann einfach behaupten, es würde diese Tiere nicht geben?«
»Vor allem hier über dem Pazifikus«, sagte ich, selbst überrascht von meinen Worten.
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