Airborn 01 - Wolkenpanther
funktionsfähig zu sein und das Neugeborene sauste unkontrolliert nach unten. Es konnte den Fall nicht abfangen. Die Mutter flog hektisch um das Kleine herum, konnte jedoch nichts tun. Sie gab einen Laut von sich, ein klagendes Kreischen, wie ich es noch nie von ihnen gehört habe. Das Baby wirbelte weiter durch die Luft. Schließlich hatte es beide Flügel ausgestreckt, und ich meinte, sein Sturz würde sich verlangsamen, obwohl dies von hier oben unmöglich zu erkennen war.
Über dem dichten Blätterdach der Insel verlor ich es aus den Augen. Ich wartete und beobachtete noch eine Zeit lang den Himmel, sah aber nur die Mutter über der Insel kreisen. Keine Spur von dem Neugeborenen. Es musste zu Tode gestürzt sein.
Wie viele wohl so sterben, weil sie das Fliegen nicht sofort lernen?
Von den vierzehn Geburten war dies die einzige, die misslang.
Die Jungen hängen häufig kopfüber am Bauch der Mutter, um zu trinken, und werden dabei von ihr getragen.
8. September
12:51 Uhr
Sie fressen heute mit ungewöhnlicher Eile. Befinden sie sich auf einer Art Wanderung? Ich frage mich, wo sie wohl hinziehen. Dorthin, woher sie gekommen sind? Ich vermute, dass der Himmel ihr Zuhause ist; sie brauchen keinen Zufluchtsort auf der Erde. Vielleicht ziehen sie einfach von Halbkugel zu Halbkugel, auf der Suche nach den wärmsten Winden. Vielleicht fällt ihre Gebärzeit mit ihrer Ankunft in den südlichen Breitengraden zusammen.
19:35 Uhr
Sie ziehen davon. Würde ihnen gerne folgen, aber sie sind zu schnell. Mit Rückenwind würde ich ihre Geschwindigkeit auf achtzig Knoten schätzen. Erstaunliche Geschöpfe.
Sie sind weg.
Wetter schlägt um.
Vielleicht lag es nur an mir, aber ich fand, er klang zum Schluss ziemlich niedergeschlagen. Als ich die Seite umblätterte, hatte ich ein flaues Gefühl im Magen. Ein Großteil des Geschriebenen war verschmiert, vermutlich war es vom Regen durchnässt worden, und ich konnte nur wenige Wörter entziffern. Anscheinend war er von einem tropischen Sturm überrascht und eine Zeit lang wild umhergeschleudert worden. Ich meinte, das Wort »Schaden« in einem Eintrag zu erkennen und die Erwähnung eines Problems mit der Hülle. Ein heißer Schauer fuhr meinen Rücken hinunter. Hatte der Ballon etwa ein Leck? Hatten diese Tiere die Hülle zerfetzt oder war es nur der Sturm gewesen?
Benjamin Molloy hatte seine Einträge nicht mehr datiert und auch seine Koordinaten und Wetterbeobachtungen wirkten mittlerweile eher halbherzig. Seine Schrift war ganz krakelig geworden und die einzelnen Buchstaben überlappten sich immer mehr. Ich erinnerte mich daran, dass wir ihn am 13. September gefunden hatten, fünf Tage nach dem letzten datierten Tagebucheintrag. Ich fragte mich, ob er wohl krank geworden war, zu geschwächt, sein Schiff zu reparieren oder das Logbuch ordentlich zu führen. Das Buch enthielt noch weitere Zeichnungen dieser Tiere, die immer merkwürdiger wurden und mehr und mehr Raum einnahmen.
Wesen mit den Gesichtern von Löwen, Adlern oder Frauen. Wesen mit menschlichen Gesichtern, behaarten Leibern und Flügeln, die die Körper bei weitem überragten, obwohl sie nicht ganz ausgebrei tet waren. Sicher handelte es sich um Phantastereien, da sie sich stark von seinen früheren Zeichnungen unterschieden, auch wenn sie so detailgenau gezeichnet waren, als hätte er sie direkt vor sich gese hen.
Sicher war er mittlerweile krank oder verwirrt. Vielleicht hatte er Engel gesehen oder seinen eigenen Todesboten, der zu ihm heruntergeflattert kam und ihn mit seinen hypnotischen Augen anstarrte, ehe er seine Seele mit sich nahm.
»Sie waren wunderschön«, hatte er mir noch zugeflüstert, ehe er starb. »Hast du sie gesehen?«
In seinem Logbuch fand ich nur noch einen Eintrag:
Luftschiff in der Ferne. Werde Notruf senden.
Ich suchte nach einem Datum, fand jedoch keines. Es musste die Aurora gewesen sein, die er gesehen hatte, aber ich hatte kein Notsignal bemerkt. Vielleicht war er vorher bewusstlos geworden. Doc Halliday hatte gesagt, er hätte eine Lungenentzündung gehabt und vielleicht auch einen Herzinfarkt.
Ich starrte eine Weile auf diese letzte Seite, den letzten Eintrag und die anschließende Leere. Ein merkwürdiges Gefühl stieg in mir auf und ich musste das Buch schließen. Ich war enttäuscht und wusste nicht, was ich davon halten sollte. Zuerst hatte das Logbuch so klar und vernünftig gewirkt, doch am Ende schien es, als habe er alles nur geträumt, vor allem, wenn man die
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