Akte Atlantis
Fahrwasser zu, das rund zwanzig Meter achteraus lag. Er fuhr an zwei Hafenarbeitern vorbei, die ein Geländer um den Pier bauten, und winkte ihnen zu. Sie winkten zurück. Mit List und Tücke geht doch alles leichter als mit roher Gewalt, dachte er.
Dann stieß das Boot am Anlegesteg vorbei ins offene Fahrwasser.
Turmhoch ragte jetzt das Heck des riesigen Schiffes über ihnen auf.
Pitt legte den Vorwärtsgang ein und steuerte das Grand Banks an der
Ulrich Wolf
entlang. Sie mussten erst den ganzen Koloss umfahren, bevor sie auf den Fjord hinausstechen und von der Werft fliehen konnten. Pitt gab Gas, bis der Geschwindigkeitsmesser acht Knoten anzeigte, ein Tempo, bei dem hoffentlich noch niemand Verdacht schöpfte. Bislang hatte niemand Alarm geschlagen. Weit und breit war kein Verfolger zu sehen, nirgendwo ein Suchscheinwerfer, der auf dem dunklen Wasser nach ihnen tastete.
Bei diesem Tempo würde es gut eine Viertelstunde dauern, bis sie an dem gigantischen Schiff vorbei waren und hinaussteuern konnten, weg von den gleißenden Lichtern der Werft. Fünfzehn quälende Minuten, die ihnen wie Jahre vorkommen würden. Und das war erst der Anfang. Sie mussten sich auch noch mit den Patrouillenbooten auseinander setzen, und bis dahin hatte man deren Besatzung höchstwahrscheinlich davon verständigt, dass sich die Eindringlinge mit einem Grand Banks absetzen wollten.
Momentan konnten sie nichts anderes tun, als in der Kabine zu bleiben, wo sie außer Sicht waren, und zu dem Giganten emporzublicken, an dem sie vorbeischlichen. Mit seinen riesigen gläsernen Aufbauten, die vom Bug bis zum Heck hell erleuchtet waren, wirkte er wie ein Fußballstadion bei einem Abendspiel.
Neben der
Ulrich Wolf
hätten selbst die berühmtesten Ozeandampfer aller Zeiten zusammen, die
Titanic
und die
Lusitania
, die
Queen Mary
, die
Queen Elisabeth
und die
Normandy
, wie Zwerge gewirkt.
»Ich könnte jetzt einen Hamburger gebrauchen«, meldete sich Giordino, um sie abzulenken.
»Ich auch«, sagte Megan. »Die haben uns lauter eklig gesunde Sachen vorgesetzt.«
Pat lächelte, doch ihr Gesicht wirkte angespannt. »Es dauert nicht mehr lang, mein Schatz, dann kriegst du deinen Hamburger.«
Pitt wandte sich vom Ruder ab. »Seid ihr schlecht behandelt worden?«
»Misshandelt hat uns niemand«, antwortete Pat, »aber ich bin noch nie von so vielen ekelhaften und aufgeblasenen Menschen herumkommandiert worden. Die haben mich zwanzig Stunden am Tag auf Trab gehalten.«
»Mit dem Entziffern der Amenes-Inschriften aus einer anderen Kammer?«
»Nein, nicht aus einer anderen Kammer. Es waren Fotos von Inschriften, die sie in einer versunkenen Stadt in der Antarktis gefunden haben.«
Pitt warf ihr einen erstaunten Blick zu. »In der Antarktis?«
Sie nickte. »Unter dem ewigen Eis. Die Nazis haben sie kurz vor dem Krieg entdeckt.«
»Elsie Wolf hat mir erzählt, sie hätten Hinweise gefunden, dass die Amenes sechs Kammern angelegt haben.«
»Dazu kann ich nichts sagen«, erwiderte Pat. »Aber ich habe den Eindruck, dass sie mit der Stadt unter dem Eis irgendetwas bezwecken. Was, das habe ich nicht rausbekommen.«
»Haben Sie beim Entziffern der Inschriften irgendwas Neues erfahren?«
Pat wirkte jetzt, wo sie mit ihm redete, bei weitem nicht mehr so bedrückt und verloren. »Ich hatte mich noch kaum damit befasst, als Sie hereingeplatzt kamen. Die wollten in erster Linie wissen, was wir beim Entziffern der Inschriften in Colorado und auf St. Paul herausgefunden haben. Mir kam es so vor, als ob die Wolfs unbedingt Genaueres darüber erfahren wollten, wie die Katastrophe und ihre Nachwirkungen in den Berichten der Amenes dargestellt werden.«
»Weil alle Inschriften, die sie in der versunkenen Stadt gefunden haben, vor der Katastrophe verfasst wurden.« Er hielt inne und nickte zu ihrem Aktenkoffer hin. »Sind die da drin?«
Sie hielt ihn hoch. »Die Fotos aus der Antarktis. Die konnte ich einfach nicht zurücklassen.«
Er schaute sie unverwandt an. »Frauen wie Sie haben Seltenheitswert.«
Zu mehr kam er nicht, denn etwa hundert Meter voraus kreuzte ein Boot ihren Kurs, zog dann aber in weitem Bogen an Backbord vorbei.
Offenbar ein Versorgungsboot. Die Besatzung war so beschäftigt, dass sie dem Kabinenkreuzer nicht die geringste Aufmerksamkeit schenkte.
Als sie sich dem Bug der
Ulrich Wolf
näherten, ohne dass irgendwelche Verfolger aufgetaucht waren, wurde Pitt etwas lockerer. »Die wollen also unbedingt erfahren, wie sich die
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