Akte Atlantis
Hinweis darauf gefunden, wie diese Artefakte an Bord der
Madras
gelangten?«
»Ich weiß genau, dass der Schädel und die anderen Sachen nicht in Bombay verladen wurden. Die Besatzung und die Passagiere haben sie auf einer einsamen Insel entdeckt, auf der sie im Verlauf ihrer Reise Wasser fassten. Das war im Logbuch in allen Einzelheiten vermerkt.«
Pitt zögerte, befürchtete das Schlimmste. »Sagt en Sie, es war vermerkt?«
»Kapitän Mender hat es nicht für sich behalten. Der letzte Wunsch des sterbenden Kapitäns der
Madras
lautete, dass es dem Eigner seines Schiffes zugesandt werden sollte. Dem entsprechend hat es mein Urgroßvater, wie es sich gehörte, per Kurier nach Liverpool überstellen lassen.«
Pitt kam sich vor, als wäre er mit Volldampf gegen eine Ziegelmauer gerannt. »Wissen Sie, ob die Eigner der
Madras
eine Suchexpedition losgeschickt haben und ob man zurückverfolgen konnte, wie sie an diese Artefakte geraten ist?«
»Die damaligen Eigner des Schiffes hatten, wie sich herausstellte, ihre Handelskompanie samt Reederei verkauft, bevor Kapitän Mender ihnen das Logbuch zugeschickt hatte«, erklärte Christine. »Die neuen Inhaber sandten zwei Schiffe aus, um nach der
Madras
zu suchen, aber sie sind mit Mann und Maus verschollen.«
»Dann sind also alle Aufzeichnungen verloren gegangen«, sagte Pitt entmutigt.
Christines Augen funkelten. »Das habe ich nicht gesagt.«
Er musterte die alte Dame eingehend, als könnte ihm ihr Blick etwas verraten. »Aber…«
»Meine Urgroßmutter war eine gewitzte Frau«, unterbrach sie ihn. »Sie hat eine Abschrift vom Logbuch der
Madras
angefertigt, bevor ihr Mann es nach England sandte.«
Pitt strahlte augenblicklich wieder auf. »Dürfte ich die vielleicht lesen?«
Christine antwortete nicht gleich. Sie ging zu einem alten Kapitänskajütentisch und blickte zu einem Bild auf, das an der mit Eichenholz getäfelten Wand hing. Ein breitschultriger Mann saß da mit verschränkten Armen und übergeschlagenen Beinen auf einem Sessel, massig und in sich ruhend. Wenn sein Gesicht nicht von einem Vollbart bedeckt gewesen wäre, wäre er durchaus attraktiv gewesen. Die Frau, die neben ihm stand, war eher zierlich, aber umso wacher wirkten die braunen Augen, die sie dem Betrachter zuwandte. Beide trugen Kleider des ausgehenden neunzehnten Jahrhunderts.
»Kapitän Bradford und Roxanna Mender«, sagte sie wehmütig, so als weilte sie in einer längst vergangenen Zeit, die sie nie erlebt hatte.
Dann wandte sie sich zu Perlmutter um. »St. Julien, ich glaube, es ist so weit. Ich bewahre diese Briefe und Dokumente schon viel zu lange auf, vermutlich aus reiner Sentimentalität.
Ich glaube, sie wären anderswo besser aufgehoben, dort, wo sie zugänglich sind, wo man in ihnen lesen kann, Lehren zu ziehen vermag aus der Geschichte, die darin niedergeschrieben ist. Von mir aus können Sie das ganze Archiv zu Ihrem Preis haben.«
Leichtfüßig wie ein Leistungssportler sprang Perlmutter auf und schloss Christine in die Arme. »Besten Dank, meine Teuerste. Ich verspreche Ihnen, dass alles ordentlich verwahrt und archivarisch erfasst werden wird, damit es auch künftig von Historikern ausgewertet werden kann.«
Christine kam zum Kamin und blieb neben Pitt stehen. »Und Sie, Mr. Pitt, sollen auch nicht leer ausgehen. Ich vertraue Ihnen den Obsidianschädel an. Was gedenken Sie damit anzufangen, nun, da Sie zwei davon haben?«
»Zunächst mal kommen sie ins Labor, wo man sie genauestens unter die Lupe nehmen wird. Schon um festzustellen, wann und in welchem Kulturkreis sie entstanden sein könnten.«
Sie schaute den Schädel eine ganze Weile an, atmete dann tief durch.
»Ich gebe ihn ungern weg, aber es fällt mir erheblich leichter, da ich nun weiß, dass er gut aufgehoben sein wird. Die Leute hier haben immer gedacht, es wäre ein Vorbote von Unglück und schlimmen Zeiten. Aber uns und der gesamten Familie hat er nur Glück und Segen gebracht, seit Roxanna Mender ihn geborgen und über das schmelzende Packeis zu ihrem Schiff gebracht hat.«
Auf der Rückfahrt nach Washington vertiefte sich Pitt in das Logbuch der
Madras
, das Roxanna Mender mit ihrer zierlichen, flüssigen Handschrift in ein Notizbuch mit Ledereinband übertragen hatte. Obwohl der Rolls-Royce nach wie vor samtweich dahinglitt, fuhr er ab und zu auf und schaute aus dem Fenster, damit ihm nicht schwindlig wurde.
»Irgendwas Interessantes gefunden?«, fragte Perlmutter, als Mulholand auf der George
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