Akte Mosel
und kein Parkplatz zu finden. Als er zu Fuß vom Einparken zurückkommt, hört er aus dem Garten Stimmengewirr und Gelächter. An der Hauswand spiegelt sich schwacher Feuerschein. Die beiden Flügel des hölzernen Gartentors in der mehr als mannshohen Mauer stehen offen. Walde geht gebückt hindurch. Drinnen flackern ringsum Öllampen und Windlichter. Am Himmel sind die ersten Sterne zu sehen. Walde bleibt stehen, um sich in der Dunkelheit zu orientieren. Vor ihm ist eine Gruppe von Leuten, von denen er niemanden kennt, in ein angeregtes Gespräch vertieft. In der gegenüberliegenden Ecke des Gartens lodert ein mächtiges Feuer. Ein kräftiger Mann steht dahinter und gießt aus einem großen Schöpflöffel etwas auf einen Stein, der über dem Feuer auf einem Gestell liegt. Der Schatten, den er dabei hinter sich an die Gartenmauer wirft, sieht bedrohlich aus. Walde erkennt Jo und geht vorsichtig in Richtung Feuer. Er weicht dabei kleineren und größeren Tümpeln aus. Manche sind kreisrund, andere nierenförmig oder länglich wie ein Schlauch. Gesäumt werden sie von allerhand zumeist nicht mehr als einen halben Meter hohen Figuren. Viele hat Marie selbst modelliert. Manche stecken auf Stäben, andere stehen auf Podesten aus Ziegeln oder liegen auf Kiesrändern und Beeten.
Joachim Ganz verteilt mit einem Holzschaber die zischende Masse auf dem heißen Stein.
»Hallo, Walde, mit dir hab’ ich heute nicht mehr gerechnet. Möchtest du eine Crêpe?«
Walde schaut zu einer Gruppe von Frauen, die wenige Meter entfernt an einem Stehtisch lehnen.
»Gell, schöne Beine hat die Doris!« bemerkt Jo, der Waldes Blick gefolgt ist.
»Gibt es auch was zu trinken?« fragt Walde.
Marie kommt herbei, um Walde zu begrüßen. Er überreicht ihr ein kleines Päckchen: »Herzlichen Glückwunsch!«
»Ein Frosch?« Marie faltet das braune Packpapier auseinander. »Oh, eine Katze, eine zusammengerollte, die hat gefehlt. Danke Walde. Hat Jo dir schon was angeboten?«
Walde schüttelt den Kopf.
»Der Herr war von Doris’ Beinen abgelenkt«, protestiert Jo. »Soll ich dich ihr vorstellen?«
»Danke, wie weit ist die Crêpe? Gibt es auch was zu trinken?« Walde will Jo vom Thema ablenken. Seine dröhnende Baßstimme ist im gesamten Garten zu vernehmen.
»Hier, trinken wir auf Doris’ Beine«, Jo reicht Walde grinsend ein Glas Wein.
Am Stehtisch dreht sich Doris Morgen um und prostet Jo zu. Dabei mustert sie Walde.
»Danke!«, zischt Walde zu Jo, der die Crêpe zusammenfaltet und auf einen Teller legt.
*
»Das hat mir heute noch gefehlt«, seufzt Walde, als er am Nachmittag des folgenden Tages neben der Wasserleiche wenige Meter hinter der Mosel-Staustufe auf dem Rasen kniet. Er hat sich ein Taschentuch vor die Nase gepreßt. Das grelle Gegenlicht schimmert rötlich durch seine Ohren. Die gepflegte Grasfläche gehört zu einem der Bungalows, die in den sechziger Jahren beim Bau der Staustufe für die Mitarbeiter des Wasserschiffahrtsamtes errichtet wurden. Einer der Bewohner steht hinter den Gardinen und ist unschlüssig, ob er herauskommen und seine Neugierde befriedigen oder sich den Appetit und den ruhigen Schlaf für die nächsten Tage erhalten soll. In dezentem Abstand stehen Leute von den Schiffen, die auf ihren Schleusengang warten.
Walde untersucht kurz den Toten, dessen Haut blaue und grüne Verfärbungen aufweist. Es reicht aus, um grobe Merkmale festzustellen. Der Mann hat wohl schon vor geraumer Zeit sein finales Bad genommen.
»Armer Kerl, finde deinen Frieden«, murmelt Walde. Soviel Achtung hat er verdient, der hier so unwürdig auf der Erde liegt.
»Wer ist es, Harry?« fragt Walde.
»Keine Ahnung, Stefan, er hat keine Papiere – Selbstmord oder Badeunfall«, mutmaßt Harry.
»Und warum sind wir dann hier?«
»Er hat im Nacken eine Verletzung, und der Kollege vom KI 11 dachte, er müßte uns einschalten.«
»Der dort drüben?« Walde deutet augenzwinkernd zu einem Mann in Zivil, der in Hörweite an einem Obstbaum lehnt, an den er sich gerade erbrochen hat.
»Es ist seine erste Wasserleiche.«
Der Mann löst sich vom Baum und kommt ein paar Schritte näher.
Walde geht ihm entgegen. Der Kollege wischt sich den Mund mit einem Taschentuch ab. Seine Gesichtsfarbe unterscheidet sich nicht von der der Wasserleiche.
»Herr Hauptkommissar, bitte entschuldigen Sie, ich hätte Sie nicht gerufen, wenn …«
»Ist in Ordnung, Herr …«
»Grabbe, Polizeihauptmeister, Kriminalinspektion 11, seit letzter
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