Akte Weiß: Das Geheimlabor, Tödliche Spritzen
längst zu Hause sein. Ich verstehe einfach nicht, wo sie nur sein kann.”
„Wissen Sie”, meinte Phil Glickman kauend, „dieser Fall wird von Tag zu Tag komplizierter. Alles fing mit einem simplen Kunstfehlerprozess an und endete mit mehrfachem Mord. Ich bin gespannt, wo das hinführt.”
„Ich auch”, seufzte David und drehte sich im Sessel zum Fenster. Er versuchte, die appetitanregenden Düfte von Phil Glickmans chinesischem Gericht zu ignorieren. Die Wolken draußen waren dunkelgrau. Erst jetzt wurde ihm klar, wie spät es schon war. Normalerweise würde er jetzt seine Aktentasche packen und heimfahren. Aber er musste nachdenken, und das konnte er am besten hier vor dem Fenster.
„Jemandem die Halsschlagader durchzuschneiden, ist schon eine schlimme Art, einen Mord zu begehen”, sagte Phil Glickman. „Man denke nur an das viele Blut. Das erfordert viel Mut.”
„Oder Verzweiflung.”
„Außerdem ist es bestimmt nicht einfach. Man muss sehr nah an sein Opfer herankommen, um die Arterie zu durchtrennen.
Es gibt einfachere Wege. Gift zum Beispiel, etwas, das tötet und nicht nachzuweisen ist.”
„Sie vergessen etwas. Wo bleibt die Befriedigung, wenn man das Opfer nicht leiden sieht?”
„Das ist ein Problem”, stimmte Phil Glickman zu. „Dann lässt man es durch Terror leiden, durch Warnungen und Drohungen.”
David dachte an den roten Totenkopf auf Kates Wohnzimmerwand. Ihm wurde immer unbehaglicher zumute. Irgendwie hatte er eine Ahnung drohenden Unheils. Er stand auf und packte einige Unterlagen in seine Aktentasche. Es war sinnlos, hier zu bleiben. Sorgen machen konnte er sich auch zu Hause bei seiner Mutter.
„Wissen Sie, etwas leuchtet mir bei der ganzen Sache nicht ein”, bemerkte Phil Glickman und beendete sein Mahl. „Dr. Tanaka und Ann Richter wurden auf blutigste Weise umgebracht. Warum ging der Mörder bei Ellen O’Brien anders vor und ließ ihren Tod wie eine Herzattacke aussehen?”
„Eines habe ich während meiner Zeit beim Staatsanwalt gelernt.”
David klappte seine Tasche zu. „Mord muss nicht sinnvoll sein.”
„Mir scheint, dass sich unser Killer viel Mühe gegeben hat, die Schuld auf Kate Chesne abzuwälzen.”
David war schon fast an der Tür, als er wie angewurzelt stehen blieb. „Was haben Sie da gesagt?”
„Ich sagte, dass sich der Killer Mühe gab, Kate Chesne die Schuld …”
„Nein, Sie benutzten das Wort abwälzen.”
„Vielleicht.”
„Also, wer wird verklagt, wenn ein Patient unerwartet auf dem OP-Tisch stirbt?”
„Die Schuld wird meist geteilt von Anästhesist und …” Phil Glickman brach ab. „Oh Himmel! Warum habe ich nicht eher daran gedacht?”
David griff bereits nach dem Telefonhörer und wählte die Nummer der Polizei. Er verfluchte sich im Stillen für seine Blindheit. Der Mörder war die ganze Zeit zugegen gewesen, beobachtend, abwartend. Er wusste, dass Kate nahe daran war, Antworten auf ihre Fragen zu finden, und er hatte Angst. Angst genug, um Warnungen an Kates Wände zu sprühen und sie auf einem dunklen Highway im Auto zu verfolgen. Und vielleicht trieb diese Angst ihn auch zu einem weiteren Mord.
Es war halb sechs, und die meisten Angestellten in der Abteilung für medizinische Berichte waren schon fort. Die einzige Dame, die noch dort war, nahm murrend Kates Anfragezettel entgegen und rief dann im Computersaal den Standort der Akte ab.
„Diese Patientin ist tot”, sagte sie und deutete auf den Monitor. „Die Akte ist in der Ablage. Es wird eine Weile dauern, sie zu finden. Warum kommen Sie nicht morgen wieder?”
Kate erinnerte sich an ihre letzten Schwierigkeiten in dieser Abteilung und erwiderte etwas unwirsch: „Ich brauche die Akte jetzt.” Und es ist eine Frage von Leben und Tod, fügte sie im Stillen hinzu.
Die Angestellte blickte auf die Uhr, tippte mit dem Kuli auf die Schreibtischplatte, erhob sich langsam und verschwand schließlich im Aktenraum.
Nach einer Viertelstunde kehrte sie mit dem Bericht wieder. Kate zog sich an einen Ecktisch zurück und las. Brook, Baby, weiblich. Die Akte enthielt nur wenige Blätter. Der Tod des Kindes wurde am 17. August um 2 Uhr früh festgestellt. Todesursache war eine Unterversorgung des Gehirns mit Sauerstoff. Den Totenschein hatte Dr. Tanaka unterschrieben.
Kate blickte noch einmal in die Kopie von Jenny Brooks Krankenakte, die sie mitgebracht hatte. Obwohl sie den Text schon so oft gelesen hatte, fiel ihr plötzlich etwas auf. Da es in der Familie einige
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