Akte Weiß: Das Geheimlabor, Tödliche Spritzen
bezahlen. Die ganze letzte Woche habe ich mich gefragt, ob mit meinem Erinnerungsvermögen alles in Ordnung sei. Und ich habe mich gefragt, wie das alles geschehen konnte. Ellen vertraute mir, und ich habe sie sterben lassen. Ich habe schon bedauert, Arzt geworden zu sein. Ich liebe meine Arbeit. Sie können nicht wissen, was ich geopfert habe, um das zu werden, was ich heute bin. Und jetzt sieht es so aus, als würde ich meinen Job verlieren.” Sie schluckte und ließ den Kopf hängen. „Und ich bezweifle, ob ich jemals wieder in der Lage bin zu arbeiten …”
David betrachtete schweigend ihren gesenkten Kopf und kämpfte gegen das Mitgefühl an, das sich in ihm regte. Er war immer stolz auf seine Menschenkenntnis gewesen. Für gewöhnlich sah er jemandem an, ob er log. Er hatte Kate Chesne genau beobachtet, und nichts wies darauf hin, dass sie log. Sie hatte ihn ruhig angesehen mit diesen Augen, die so schön waren wie zwei Smaragde.
Der letzte Gedanke verwunderte ihn, zumal er die ganze Zeit versuchte, sich nicht einzugestehen, dass sie eine anziehende Frau war. Das grüne, in der Taille lose geschnürte Seidenkleid deutete ihre weiblichen Konturen nur an. Das mahagonifarbene wellige Haar wirkte ziemlich ungebärdig, und ihr Gesicht war mit dem leicht eckigen Kinn und der hohen Stirn nicht im klassischen Sinne schön. Aber makellos schöne Frauen hatten ihn noch nie interessiert.
Es machte ihn ärgerlich, dass sie als Frau Wirkung auf ihn hatte. Schließlich war er kein dummer Junge mehr und zu alt und zu erfahren, um sich von ihrer Attraktivität in seinem Urteil beeinflussen zu lassen.
In einer bewusst rüden Geste blickte er auf seine Uhr. Dann schnappte er sich die Aktentasche und stand auf. „Ich muss noch eine eidesstattliche Erklärung aufnehmen, und ich bin schon spät dran. Wenn Sie mich jetzt bitte entschuldigen würden …”
Er hatte den Raum schon halb durchquert, als Kate leise rief: „Mr. Ransom?”
Ungehalten blickte er zurück. „Was?”
„Ich weiß, dass meine Geschichte verrückt klingt. Und vermutlich gibt es keinen Grund auf der Welt, warum Sie mir glauben sollten. Aber ich schwöre Ihnen, es ist die Wahrheit.”
Er spürte, wie verzweifelt sie nach Bestätigung suchte. Sie wollte wenigstens ein Zeichen, dass sie seine Skepsis überwunden hatte. Tatsache war jedoch, dass er nicht wusste, ob er ihr glaubte. Und es beunruhigte ihn tief, dass zwei smaragdgrüne Augen sein Gespür für die Wahrheit ins Wanken gebracht hatten.
„Ob ich Ihnen glaube oder nicht, ist unwichtig”, erwiderte er. „Also verschwenden Sie Ihre Zeit nicht mit mir, Doktor. Sparen Sie sich Ihre Überredungskünste für die Geschworenen auf.”
Er sagte das kälter, als er beabsichtigt hatte, und sah an ihrem leichten Zusammenzucken, wie betroffen sie war. Wieder verspürte er leise Skepsis.
„Dann gibt es also wirklich nichts mehr, was ich tun oder sagen kann …”
„Nichts.”
„Ich dachte, Sie hätten mir zugehört. Ich dachte, ich könnte Ihre Meinung irgendwie ändern …”
„Dann müssen Sie noch viel über Anwälte lernen. Guten Tag, Dr. Chesne.” Er wandte sich ab und eilte zur Tür. „Wir sehen uns dann vor Gericht wieder.”
3. KAPITEL
W eniger Chancen als ein Schneeball im Höllenfeuer. Dieses Bild ging Kate nicht mehr aus dem Sinn, als sie in der Cafeteria der Klinik saß. Wie lange mochte es dauern, bis ein Schneeball schmolz, oder löste er sich in den Flammen einfach auf?
Wie viel würde sie ertragen, bevor sie im Zeugenstand zusammenbrach?
Wenn es um Leben oder Tod ging, wenn eine medizinische Krise eintrat, wusste sie immer, was zu tun war, und reagierte richtig. In den sterilen Wänden des OPs hatte sie alles unter Kontrolle.
Ein Gerichtssaal war jedoch eine völlig andere Welt. Das war David Ransoms Territorium. Er war dort der Platzhirsch, und sie würde so hilflos sein wie ein Patient auf dem OP-Tisch. Wie sollte sie die Angriffe eines Mannes abwehren, dessen Ruf sich auf die zerstörten Karrieren von Ärzten gründete?
Sie hatte sich noch nie durch Männer bedroht gefühlt. David Ransom hatte sie allerdings mühelos eingeschüchtert. Wenn er klein, dick und kahlköpfig gewesen wäre, hätte sie ihn sich vielleicht auch als menschlich und verwundbar vorstellen können. Doch schon bei dem Gedanken, im Gericht dem Blick aus diesen kühlen blauen Augen ausgesetzt zu sein, zog sich ihr der Magen zusammen.
„Es sieht so aus, als könntest du Gesellschaft vertragen”,
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