Akte X
Boden eine Hand mit einer Spritze im Anschlag unter dem Fahrzeug hervorkroch. Als Scully den Schlüssel in das Schloß steckte, bohrte sich die Nadel in den weichen Bereich direkt unterhalb des Fußknöchels. Schnell drückte die Hand den Kolben nieder. Scully keuchte und stolperte rückwärts vom Wagen weg. Noch war sie wach genug, um Gerry Schnauz erkennen zu können, der unter dem Fahrzeug hervorschoß.
Scully zog ihre Waffe, doch die Droge raste wie ein Schnellzug durch ihren Organismus: Sie brach auf dem Pflaster zusammen. Schnauz war bereits auf den Beinen und warf den Sack mit den gestohlenen Waren auf den Rücksitz des Wagens. Er bewegte sich schnell. Sorgfältig wischte er seine Fingerabdrücke von den Türgriffen ab, und auch wenn er Scully dabei den Rücken zukehren mußte, wußte er, daß sie bereits zu weit weg war, um ihm noch gefährlich werden zu können.
Als er sich wieder umwandte, sah er, daß Scully die Waffe entglitten war. Ihre Augen waren geschlossen. Er stand direkt über ihr, und die Sonne des späten Nachmittags warf seinen langen Schatten über den bewußtlosen Körper der Frau.
Schnauz blickte auf sie herab. Sie tat ihm leid. All diese Heuler, die sie peinigten und sie veranlaßten, all diese Dinge zu tun.
Er mußte nur die Augen schließen, und schon konnte er sie sehen. Doch es gab eine Heilung -
und er, Schnauz, war der einzige Mensch, der tapfer genug war, sie ihr zu geben.
Im Hinterraum der Drogerie spuckte der Fotoautomat ein Neun-mal-dreizehn-Bild aus. Mulder nahm es aus dem Ausgabeschlitz und musterte es eingehend.
Schlagartig wurde ihm schwindelig. Es war, wie er vermutet hatte, ein Gedankenbild - eine fotografische Darstellung dessen, was in Gerry Schnauz' verwirrtem Geist vor sich ging. Das Bild ähnelte dem von Mary Lefante verblüffend, nur... das Gesicht, das es zeigte, war ein anderes.
Das Gesicht, das ihn von diesem Foto voller Entsetzen entgegenstarrte, gehörte Scully.
Mulder spurtete aus dem Geschäft hinaus und hetzte mit gezogener Waffe um die Ecke. Unten auf dem Parkplatz wurden seine schlimmsten Befürchtungen Wirklichkeit, als der Explorer mit quietschenden Reifen auf die Ausfahrt zuraste.
Adrenalin strömte durch seine Körper, während er auf die Straße rannte. Dort mußte der Wagen vorbeikommen. Mulder erreichte die Straße eine Sekunde zu spät. Der Explorer jagte um die Kurve und raste heulend davon, weg von ihm und weg von der Drogerie.
„Scully!“ brüllte Mulder, während er dem beschleunigenden Fahrzeug zu folgen versuchte.
Für einen Moment dachte er daran, auf den Wagen zu schießen, doch die Scheiben des Explorers waren getönt. Er wußte nicht, wo Scully war. Womöglich saß sie sogar am Steuer, bedroht von der Mündung einer Waffe.
„Scully!“ schrie er mit sich überschlagender Stimme.
Mulder rannte die Straße hinunter, bis er glaubte, daß seine Lungen platzen müßten. Er blieb erst stehen, als der Wagen aus seinem Blickfeld verschwunden war. Dann stützte er sich mit den Händen auf die Knie und rang japsend nach Luft.
Mulder hatte gesehen, was Schnauz mit den anderen Frauen getan hatte, die in seine Gewalt geraten waren, und er gestattete sich einen kurzen Moment der Verzweiflung, ehe er mit schleppenden Schritten zu der Drogerie zurückkehrte.
Von nun an würde er für Gefühle keine Zeit mehr haben.
12
Mulder hielt die Aufnahme aus dem Fotoautomaten ins Licht. Er hatte sich an Officer Trotts Schreibtisch gesetzt, womit er einige der örtlichen Beamten verärgert hatte, doch das war zu diesem Zeitpunkt seine geringste Sorge. Er stellt sich vor, was Scully sagen würde, wenn sie jetzt neben ihm stünde. Legen Sie das Foto weg und fangen Sie an, nach richtigen Spuren zu suchen! Finden Sie den Wagen. Finden Sie Schnauz' Versteck! Finden Sie mich! Aber auf Schnauz und sein Versteck hatte Mulder bereits den gesamten Polizeiapparat von Traverse City angesetzt. Bei diesen Untersuchungen würde er auch nicht mehr ausrichten können als irgendein weniger erfahrener Polizist. Die Antwort liegt hier drin, Scully, dachte Mulder zum wiederholten Male. Vertrauen Sie mir.
Mulder wünschte inständig, er könnte noch einmal das Fotolabor des FBI aufsuchen, doch dafür blieb ihm keine Zeit. Er mußte die Spur mit seinen bloßen Augen verfolgen. Auf dem Bild erkannte er Übereinstimmungen mit der Aufnahme von Mary Lefante - der langbeinige Schatten, Schnauz'
Vater, die geisterhaft-weißen Dämonen, die Schnauz
„Heuler“ nannte. Sie
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