Akte X
hyperventi-liert, während sie diese kurzen Sätze hervorbrachte. Als Schnauz wieder das Wort ergriff, sprach er englisch.
„Doch, die haben Sie“, sagte er freundlich, wobei er Scully noch immer leicht verwundert musterte. „Jeder hat sie, aber Sie ganz besonders.“
„Warum? Warum ich?“
Scully wartete auf eine Antwort, doch Schnauz hüllte sich in Schweigen.
„Ich erinnere Sie an Ihre Schwester, nicht wahr?“ setzte sie nach.
Scully wußte, daß sie sich auf gefährlichem Gelände bewegte. An Schnauz' verwirrte Psyche zu rühren, war ein Glücksspiel und normalerweise Mulders Job. Er war derjenige, der sich in Oxford einen akademischen Grad in Psychologie erworben hatte. Trotzdem wollte Scully alles versuchen, um Schnauz zum Reden zu bringen.
„Warum hat Ihre Schwester sich umgebracht, Gerry?“ erkundigte sie sich in scharfem Ton. Dann sprach sie sanfter weiter. „Was hat Ihr Vater ihr angetan?“
Schnauz hob bedauernd die Schultern, ehe er ganz nüchtern feststellte: „Er hat ihr gar nichts getan. Es waren die Heuler.“
Der Tonfall des stämmigen Mannes erschreckte Scully. Das Töten schien für ihn keinerlei Bedeutung zu haben, und seine ruhige, überzeugte Art ließ sie schaudern.
„Dann erzählen Sie mir von den Heulern“, forderte sie ihn auf.
Schnauz trat vor und beugte sich in den Lichtkegel. Mit beiden Händen stützte er sich auf die Armlehnen des Behandlungsstuhls und näherte sich Scully so weit, daß sie seinen fauligen Atem riechen konnte.
„Sie leben in Ihrem Kopf, erklärte er sonderbar lebhaft. „Sie lassen Sie Dinge tun und Dinge sagen, die Sie nicht wirklich wollen, und alle Ihre guten Gedanken können sie nicht vertreiben. Sie brauchen Hilfe.“
Schnauz berührte Scullys Nasenrücken mit der Fingerspitze, woraufhin sie sich kaum wahrnehmbar versteifte. Sie wußte, daß dies die Stelle war, an der er das Leukotom ansetzen würde, um ihr Gehirn nach seinen Vorstellungen zu
„reinigen“.
„Sie haben sie“, diagnostizierte Schnauz. „Genau dort drin. Können Sie sie nicht fühlen?“ Scully antwortete ihm mit den einzigen Worten, von denen sie sich Rettung erhoffte. Sie versuchte, so resolut wie möglich zu klingen.
„Ich habe sie nicht, Gerry“, sagte sie mit Nachdruck. „Ich - habe - sie - nicht.“ Beinahe ausgelassen schüttelte Gerry den Kopf.
„Sehen Sie, das haben sie Sie jetzt gerade sagen lassen.“
Nun wußte Scully, daß sie in der Falle saß. Es gab keine richtige Antwort. Würde sie behaupten, sie könne die Heuler sehen, dann würde er ihr mit dem Leukotom helfen, sie loszuwerden. Sagte sie aber, sie könne sie nicht sehen, dann hatten die Heuler sie zu dieser Aussage veranlaßt. Gab es eine Möglichkeit, dieser mörderischen Logik zu entrinnen? Sie biß die Zähne zusammen und dachte angestrengt nach.
„Sie lassen Sie das sagen, weil sie wissen, daß ich sie töten werde“, erklärte Schnauz weiter.
Er griff nach dem Leukotom und führte es gefahrlich nahe an Scullys Gesicht heran. Sein krankes Auge zuckte hin und her wie ein Tischtennisball. Scully fürchtete, er würde das Instrument benutzen, ohne sie vorher in einen Dämmerschlaf zu versetzen. Für einen gräßlichen, endlosen Augenblick stellte sie sich vor, wie sie auf diesem Stuhl sterben würde.
„Was ist, wenn Sie sich irren?“ wandte sie ein und versuchte, die Todesangst abzuschütteln. „Was ist, wenn es so etwas wie Heuler gar nicht gibt?“ Scullys Augen fixierten das Leukotom vor ihrer Nase. Die Panik ließ ihre Stimme nun doch ein wenig zittern. „Was ist, wenn Sie sie nur erfunden haben, um sich die Dinge zu erklären, die Ihre Schwester Ihnen erzählt hat, die Dinge, die Ihr Vater ihr angetan hat?“
„Na, großartig“, maulte Schnauz und verdrehte die Augen. „Nun haben sie Sie dazu gebracht, wie Sigmund Freud zu reden.“ Er beugte sich noch weiter zu ihr herunter und brüllte ihr mitten ins Gesicht: „Ich kriege euch. Ich kenne eure Tricks.“
Scully zuckte zusammen, während Schnauz das gefährliche Instrument direkt vor ihren Augen hin und her bewegte.
„Außerdem“, fuhr er fort, „habe ich sie gesehen.
Ich habe sie auf dem Bild gesehen, das Ihr Partner mir gezeigt hat. Fotos lügen nicht. Und Sie haben sie auch gesehen.“
Scully sah einen kleinen Hoffnungsschimmer.
Es gelang ihr, ihre Stimme wieder ruhig und selbstsicher klingen zu lassen. „Wenn es so etwas wie Heuler gibt, Gerry, dann existieren sie nur in Ihrem Kopf.“
Für einen Augenblick
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