Akte X
glatter Rinde ragten in alle Richtungen, unentwirrbar verschlungen mit dornigen Büschen und blühenden Sträuchern. Farne strichen an Scullys Beinen entlang und benetzten sie mit feinen, kitzelnden Wassertröpfchen.
Sie machten eine Pause neben einem hohen Chiclebaum mit grauer Rinde, dessen Stamm dort viele Einschnitte und Narben auf wies, wo die Einheimischen im Laufe der Jahre das Harz geerntet hatten. Scully bemerkte, daß ihre Helfer eifrig auf Knäueln von Chicleharz kauten. Doch Aguilar ließ ihnen nur wenige Minuten zum Verschnaufen, dann marschierten sie weiter und schwangen ihre Macheten.
Es dauerte nicht lange, bis Scully sich erhitzt, verschwitzt und elend fühlte. Sie verspürte Lust, an den Hersteller ihres Insektenabwehrmittels zu schreiben und sich über dessen Wirkungslosigkeit zu beschweren. Es war schon später Nachmittag gewesen, bevor sie ihren Marsch auch nur begonnen hatten, so daß ihnen höchstens vier Stunden Zeit zum Marschieren blieben, bevor sie haltmachen und ihr Lager aufschlagen mußten.
Scully erkundigte sich danach, und Aguilar lachte. Als er ihr auf den Rücken klopfte, war ihr seine Berührung unangenehm. »Ich versuche, Sie langsam an den langen Marsch zu gewöhnen, Señorita. Es ist unmöglich, Xitaclan innerhalb eines Tages zu erreichen, also bringen wir auf diese Weise lieber die Fahrt und einige Stunden Marsch hinter uns und übernachten dann. Morgen, wenn wir uns ausgeschlafen haben, gehen wir weiter, ausgeruht und bereit, die Entfernung zu überwinden, eh? Bis zum Nachmittag des nächsten Tages müßten wir die Ruinen erreichen. Und dort werden Sie vielleicht Ihre vermißten Freunde finden. Vielleicht ist ja auch nur ihr Funkgerät kaputt.«
»Vielleicht«, meinte Scully skeptisch.
Die Hitze war unvorstellbar, die Luft so schwer wie Blei. Ihr Haar hing in feuchten Strähnen herab und klebte an ihren Wangen. Schmutz und zerschlagene Insekten bedeckten ihre Haut. Über ihnen schnatterten und kreischten Brüllaffen, die durch die Baumwipfel stürmten. Spielerisch sprangen sie von Ast zu Ast und verursachten ein ohrenbetäubendes Getöse. Papageien stießen ihre krächzenden Rufe aus, während Kolibris in allen Juwelenfarben lautlos flatternd ihren Weg kreuzten. Doch Scully konzentrierte sich nur noch darauf, einen Schritt vor den anderen zu setzen, den Schlammpfützen und Kalksteinvorsprüngen auszuweichen und das Unterholz niederzutreten.
»Wie wär’s, Scully«, ächzte Mulder, während er sich den Schweiß von der Stirn wischte. Er sah so elend aus wie sie. »Ich bin Stanley, und Sie sind Livingstone, okay?«
Vladimir Rubicon marschierte vorwärts, ohne sich zu beklagen. »Wir sind erst vor zwei Stunden von der Straße abgebogen«, schwärmte er, »und schauen Sie sich an, wo wir hier sind! Sehen Sie, wie leicht riesige Ruinen in Yucatan unentdeckt bleiben können? Sobald sie von der Bevölkerung verlassen wurden, hat der Dschungel sie überdeckt – und sie leben nur noch in, äh, lokalen Legenden weiter.«
»Und Xitaclan war etwas Besonderes?« fragte Mulder. »Mehr als nur eine von vielen Ruinenansammlungen?«
Rubicon holte tief Atem und hielt an, um sich für einige Sekunden gegen einen Mahagonibaum zu lehnen. »Cassandra war jedenfalls dieser Ansicht. Xitaclan bestand eine lange Zeit: vor dem Goldenen Zeitalter, während der gesamten Toltekenherrschaft und in der späteren Zeit der Menschenopfer.«
Durch klebrigen Schweiß hindurch blickte Scully erschöpft in die lebhaften Augen des Archäologen – und sah zu ihrer Überraschung, daß der Regenwald dem alten Mann nicht das geringste auszumachen schien. Er wirkte munterer, als sie ihn je gesehen hatte, seit dem ersten Tag in der präkolumbischen Ausstellung in Washington, D.C. Hier, bei der Feldforschung, schien der alte Archäologe ganz in seinem Element zu sein; der Gedanke, seine Tochter zu befreien und gleichzeitig unbekannte MayaRuinen zu erkunden, verlieh ihm offensichtlich Flügel.
Als die Schatten im Dschungel länger wurden, zeigten Aguilars einheimische Helfer wieder einmal, was sie wert waren. Sie wählten eine flache Lichtung nahe einer Quelle aus und machten sich lautlos und energisch an die Arbeit. Binnen kurzem hatten sie Büsche und Sträucher gerodet, um einen Schlafplatz freizulegen; dann schlugen sie die Zelte auf, in denen Mulder, Scully, Rubicon und Aguilar die Nacht verbringen würden, während sie für sich selbst andere Lagerplätze suchten, vermutlich in den umstehenden Bäumen. Scully
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