Akte X
Kollege bedachte sie mit einem zweifelnden Blick, doch dann wandte er sich wieder seiner Arbeit zu.
Wie betäubt streckte Paula den Arm aus und schlitzte das nächste Hühnchen auf. Und das nächste. Noch immer schwer atmend trieb sie sich an, jedes vorbeikommende Tier aufzuschlitzen, während sie gleichzeitig darüber nachzudenken versuchte, was gerade geschehen war.
Irgend etwas stimmte nicht mit ihr. Schnitt.
Sie wollte einfach nicht, dass es wahr war. Schnitt.
Ihr Großvater hatte ihr gesagt, dass es nichts gäbe, worum sie sich Sorgen machen...
Paula ließ das Messer fallen und schrie.
Statt des nächsten toten Hühnchens saß der Kopf von George Kearns auf dem metallenen Stiel. Die toten Augen quollen aus ihren Höhlen und stierten sie an. Seine halbgeöffneten Lippen bebten im Rhythmus des Förderbands, während Blut aus der offenen Wunde troff, die einmal sein Hals gewesen war.
Das Grauen erfasste sie und vertrieb jeden vernünftigen Gedanken. Weg! Weg... weg! Sie griff nach dem körperlosen Kopf, riss ihn von dem spitzen Metalldorn und schleuderte ihn mit aller Kraft von sich. Sie sah, wie er gegen die Wand zum Packraum prallte, stolperte einige Schritte rückwärts, drehte sich um und stürzte aus der Halle.
Ihre Kollegen blieben zurück und starrten auf das, was sie geworfen hatte.
Ein Hühnchen. Ein totes nacktes Hühnchen.
„Hier hat George gearbeitet“, erläuterte Harold seinen Besuchern und deutete auf den sauberen und gut beleuchteten Arbeitstisch. „
Kein Huhn verlässt das Werk, ohne vorher durch die Qualitätskontrolle zu laufen.“
Mulder und Scully nickten. Sie konnten sich davon überzeugen, dass er die Wahrheit sagte. Nachdem die Hühner in der großen Werkhalle bearbeitet worden waren, lief das Förderband erst durch den Kontrollraum, ehe es im Packraum verschwand, wo die Hühner entweder zerlegt oder im Ganzen verpackt wurden. Eine Gruppe von Inspektoren stand neben dem Fließband und kontrollierte die Bauchhöhle und das Muskelfleisch der vorbeiziehenden Hühnerleichen. Gelegentlich trugen sie etwas in die Formulare ein, die sie auf Klemmbretter gespannt hatten.
„Wir arbeiten hier schon seit fünfzig Jahren, ohne jemals Ärger mit dem Landwirtschaftsministerium gehabt zu haben“, fuhr Harold fort. „Bis George kam.“
Während sich Mulder im Raum umblickte, sah Scully Harold direkt in die Augen und fragte ohne Umschweife: „Hat Kearns gedroht, die Hühnerfarm schließen zu lassen?“
„Oh, er hat es versucht. Aber wir haben hier noch drei andere Inspektoren, und von allen erhielten wir nur beste Beurteilungen. Hier, sehen Sie selbst“, entgegnete Harold und griff nach einem Klemmbrett, das an einem Haken an der Mauer hing.
Er reichte Scully das Klemmbrett, und sie überflog die Formulare. Jedes war ordnungsgemäß von einem der Inspektoren unterzeichnet worden. Scully betrachtete die Wertungskästchen auf dem Vordruck. Nur die besten Noten waren angekreuzt worden.
Harold wedelte mit dem Zeigefinger durch die Luft. Es gelang ihm nicht, den Ärger in seiner Stimme zu unterdrücken. „Nein. Das einzige Problem, das dieses Werk je hatte, war George.“
Scully hob den Kopf. „War er Problem genug, um etwas gegen ihn zu unternehmen?“
Die Frage schien dem Betriebsleiter die Sprache zu verschlagen. „Falls Sie damit sagen wollen, dass jemand... jemand etwas getan haben könnte, um George aufzuhalten...“ Mit zusammengekniffenen Lidern dachte er einen Moment lang nach. „Nun, möglich ist natürlich alles. Aber Sie müssen wissen, dass George sich mit jedem angelegt hat.“ Er sah Scully scharf an. „Sogar mit der Bundesregierung.“
Scullys Gesichtsausdruck blieb neutral. „Was meinen Sie damit?“
„Er hat eine Schadenersatzklage eingereicht. Sagte, er bekäme furchtbare Kopfschmerzen von der Arbeit. Sein Anwalt nennt das ,Fließbandhypnose’.“
„Ja, davon habe ich gelesen“, meinte Scully obenhin. „Sie wird durch eine sich schnell wiederholende, monotone Tätigkeit verursacht.“
Nun klang Jess Harold plötzlich defensiv. „Ich will ja gar nicht bestreiten, dass hier jeden Tag eine Menge Hühner durchlaufen“, bekannte er. „Aber wir arbeiten stets innerhalb der gesetzlichen Richtlinien.“
„Was ist aus Kearns’ Klage geworden?“
Harold nahm wieder seine selbstgefällige Haltung ein. „Sie wurde abgewiesen, nur ein paar Wochen vor seinem Verschwinden.“
Durch eine offene Tür spähte Mulder in die Werkhalle. Ein Arbeiter lief von einer Ausweidestation zur
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