Akte X
Masse verschwand gurgelnd durch ein Ablaufrohr, und Paulas Leichnam kam langsam zum Vorschein.
Erst als die Sanitäter die Leiche abtransportiert hatten, erlaubte Harold dem Arzt, seine Wunde zu untersuchen und zu verbinden. Scully hatte den Eindruck, dass er nun bereit war, auf ihre Fragen zu antworten.
Und sie war bereit, sie ihm zu stellen.
Sie begann mit der einfachsten: „Haben Sie eine
Ahnung, was sie zu diesem Angriff veranlasst hat?“ Harold schüttelte den Kopf. „Nicht die geringste.“ „Hat sie sich kürzlich wegen irgend etwas beklagt
oder sich seltsam verhalten?“
Wieder schüttelte er den Kopf, dieses Mal jedoch nachdrücklicher. Der Schmerz, den die Bewegung verursachte, ließ ihn für einen Moment die Augen schließen. „Nein. Nichts dergleichen. Paula war meine aufgeweckteste und vernünftigste Mitarbeiterin. Ich kann mir einfach nicht vorstellen, was sie dazu getrieben hat.“
In diesem Augenblick fiel Mulder auf, dass Dr. Randolph, der sein Verbandszeug zusammenräumte, für den Bruchteil einer Sekunde die Nase kraus zog.
„Und wie steht es mit Ihnen, Dr. Randolph?“ fragte er aufs Geratewohl. „Haben Sie eine Idee?“
Randolph sah den FBI-Agenten an, als wäre er soeben beim Lügen ertappt worden. Er hatte eine dünne Nase und schmale Lippen und erweckte auch ohne seinen schuldigen Augenaufschlag den Eindruck, als hätten ihn seine Schuhe bereits seit dem dritten Schuljahr schmerzhaft gedrückt.
„Wenn Sie nun mit mir fertig sind...“, sagte Harold schroff und erhob sich. „Ich habe hier noch einen Betrieb zu führen.“ Mit federnden Schritten ging er davon.
„Kommen Sie morgen vorbei, damit ich mir das noch einmal ansehen kann. Ich will mich vergewissern, dass sich nichts entzündet“, rief ihm Dr. Randolph hinterher.
Im Weitergehen warf Harold einen nachlässigen Blick über die Schulter. Er nickte gereizt. „Sicher, Doc, sicher.“ Dann trat er zu den Arbeitern, die noch immer aufgeregt miteinander flüsterten.
Als er die erwartungsvollen Mienen der beiden Agenten bemerkte, musste Dr. Randolph schlucken. Nun da Harold fort war, hatte er ihre ungeteilte Aufmerksamkeit.
„Paula kam letzte Woche zu mir“, begann er langsam. „Sie klagte über ständige Kopfschmerzen und sagte, sie sei sehr reizbar... und könne nicht schlafen.“
„Haben Sie herausgefunden, was ihr fehlte?“ fragte Scully.
Mit einem leisen Seufzer schüttelte Dr. Randolph den Kopf. Fast entschuldigend antwortete er: „Ich bin nur ein Betriebsarzt. Normalerweise behandle ich kaum etwas Ernsteres als harmlose Handverletzungen. Ich, äh, ich bin ein bisschen überfordert, wenn es um psychische Probleme geht.“
„Dann haben Sie keine organische Ursache gefunden?“ hakte Scully nach.
„Ich habe sie zur Computertomographie und zum EEG ins Bezirkskrankenhaus geschickt“, erwiderte der Arzt achselzuckend. „Beide Untersuchungsergebnisse waren ganz normal. Also habe ich angenommen, dass ihre Gesundheitsprobleme durch Stress verursacht wurden.“
Stress kann einen Menschen zu vielem treiben, dachte Scully, während sie nachdenklich vor sich hin starrte. Auch eine Geiselnahme war denkbar, aber... aber eigentlich brauchte es mehr als nur eine Woche, um einen derartigen Zusammenbruch auszulösen, wie sie ihn bei Paula Gray miterlebt hatte. „Könnte es eine Fließbandhypnose gewesen sein?“
„Wie ich schon sagte, ich bin zu so einer Diagnose nicht qualifiziert“, erklärte Dr. Randolph kategorisch und zupfte nervös an seiner dünnen Nase.
Jetzt mischte sich Mulder ein. „Aber Sie können uns erzählen, ob George Kearns mit den gleichen Symptomen zu Ihnen gekommen ist.“
Die Augen des Arztes weiteten sich vor Verblüffung. „Wie... ja. Sie hatten beide die gleichen Symptome.“
„Wie haben Sie sie behandelt?“ fragte Scully.
„Ich habe beiden ein Schmerzmittel gegen Kopfschmerz verordnet. Kodein.“
Scully nickte und wandte sich an Mulder. „Ich denke, eine Autopsie an Paula Gray könnte uns weiterbringen.“
Doch bevor Mulder etwas entgegnen konnte, meldete sich Dr. Randolph zu Wort. „Ich fürchte, ich kann diese Autopsie nicht anordnen. Sie werden mit Mr. Chaco sprechen müssen.“
„Warum das?“ Mulder hob die Augenbrauen.
Dr. Randolph schien überrascht, dass die Agenten nicht im Bilde waren. „Ja, wussten Sie das nicht? Walter Chaco ist ihr Großvater - und ihr gesetzlicher Vormund.“
Walter Chacos Villa sah genauso aus, wie Scully sich das Heim des reichsten Mannes der ganzen
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