Akte X
Ermittlungen waren noch nicht vorüber. Mulder wich noch immer nicht von seiner Überzeugung ab: Perry Stanton mochte eine Krankenschwester und einen Polizisten getötet haben, aber er war kein Mörder. Er war ein Opfer.
Mulder hatte es gesehen, in dem qualvollen Ausdruck seiner Augen.
Kapitel 11
Der digitale Sichtschirm flackerte und färbte sich schließlich dunkelgrün. Scully lehnte sich auf dem lederbezogenen Bürostuhl zurück, die Arme vor sich auf dem Tisch ausgestreckt. Ein Radiologieassistent in einem weißen Laborkittel beugte sich über ihre Schulter, und sein warmer Atem strich an ihrem Ohrläppchen vorüber. »Nur noch ein paar Sekunden.«
Scully pochte ungeduldig mit dem Finger auf den Rand der Tastatur neben dem Bildschirm, und die Neugier schlug sich in ihren angespannten Muskeln nieder. In Gedanken stellte sie sich Stantons Körper vor, der zwei Räume entfernt in einem gewaltigen Ultraschallgerät lag. Mulder war bei dem Leichnam geblieben, während sie dem Assistenten in den Beobachtungsraum gefolgt war. Später würden sie sich unten in der Pathologie wiedertreffen, wo sich auch Barrett und der Untersuchungsbeamte des Seuchenkontrollzentrums zu ihnen gesellen sollten.
»Sie wollen auch Ausdrucke, richtig?« riß der Assistent sie aus ihren Gedanken. Scully nickte, und der Assistent drückte eine ganze Reihe verschiedener Tasten an einem Farblaserdrucker gleich neben dem Monitor. Der junge Mann war nicht besonders groß und trug eine Brille mit dicken Gläsern und einer Kunststoffassung. Augenscheinlich freute er sich an der Gesellschaft und der Gelegenheit, sein Können an dem Ultraschallgerät unter Beweis zu stellen.
Ultraschallaufnahmen gehörten üblicherweise nicht zu einer Autopsie, aber Scully war entschlossen, jede Möglichkeit zu nutzen, um herauszufinden, was mit Perry Stanton geschehen war. Insgeheim konnte sie das Gefühl nicht loswerden, eine Mitschuld am plötzlichen Tod des Mannes zu tragen. Zwar wusste sie, dass sie keinen Fehler begangen hatte, dennoch war sie es gewesen, die die Elektroschockwaffe eingesetzt hatte. Sie wollte wenigstens erfahren, warum sein Körper auf eine so erschreckende Weise überreagiert hatte.
»Und los geht's«, sagte der Assistent, wobei er auf den Monitor deutete. In demselben Augenblick, in dem der Bildschirm erneut flackerte und das Grün einem wabernden See verschiedener Grautöne wich, begann der Drucker zu summen. Das Grau verdichtete sich allmählich annähernd zu der Form eines menschlichen Schädels, und ein Querschnitt durch die Mitte von Perry Stantons Gehirn kam zum Vorschein.
Scully brauchte nicht einmal eine Sekunde, um festzustellen, dass all ihre früheren Schlußfolgerungen einer neuen Einschätzung bedurften. Selbst ohne eine Autopsie konnte sie schon jetzt mit Gewißheit sagen, dass Stantons Tod absolut nichts mit Enzephalitis zu tun hatte. »Das kann nicht stimmen.«
Der Assistent sah kurz zum Monitor, wandte sich dann zum Drucker um und zog einen Stapel frisch bedruckter Blätter hervor. Die Ausdrucke zeigten das gleiche Bild aus vier verschiedenen Blickwinkeln. »Das ist die Sequenz, die Sie angefordert haben. Das Gerät war den ganzen Morgen in Betrieb, und niemand hat sich beschwert.«
Scully nahm ihm die Blätter ab und sah sie rasch durch. Nie zuvor hatte sie etwas Ähnliches gesehen. Da war kein Ödem, keine Anzeichen für Enzephalitis Lethargica - und trotzdem war Stantons Gehirn alles andere als normal. Mit dem Finger folgte sie den Konturen eines großen, dunkelgrauen Flecks, der sich nahe der Mitte der Aufnahme befand. Dort war der Hypothalamus, die Drüse, die das Nervensystem steuerte, aber sie war riesig, beinahe dreimal so groß wie sie es normalerweise sein sollte. Sechs polypenartige Wucherungen umgaben die aufgeblähte Drüse halbkreisförmig. In all der Zeit, die sie in pathologischen Laboren zugebracht hatte, waren ihr derartige Symptome noch nie begegnet.
Hastig erhob sie sich von dem lederbezogenen Stuhl und klemmte sich die Bilder unter den rechten Arm. Sie wollte so schnell wie möglich mit der Autopsie beginnen. Der Radiologieassistent betätigte einige Tasten, woraufhin der Monitor sich wieder grün färbte. »Wir werden die Aufnahmen speichern, so lange Sie sie brauchen. Rufen Sie mich, wenn Sie sie noch einmal ansehen wollen.«
Der junge Mann blinzelte ihr hinter seinen dicken Brillengläsern zu, doch Scully eilte bereits aus dem Zimmer und der Abteilung hinaus. Ihre Gedanken weilten bereits
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