Akte X Novel
abseits, die toten Hähne neben ihr; Gesicht und Hals waren von Hunderten winziger Wunden übersät.
Maggie entdeckte sie. „Oh nein!" schrie sie und eilte an ihre Seite. Scully folgte ihr langsamer.
Mulder beobachtete den Jungen. Für einen Augenblick hätte er schwören können, daß sein Gesicht sich irgendwie verändert hatte, als ob sich die Muskeln unter der Haut verschoben hätten. Aber sicher war er nicht. Vielleicht war es nur ein Spiel der Schatten in diesem seltsamen, düsteren Raum ...
9
Goldas Zimmer sah nicht mehr so unheimlich aus, als es sich mit der geschäftigen Betriebsamkeit füllte, die heutzutage unweigerlich auf einen ungeklärten Todesfall folgt. Zwei Sanitäter verpackten den Leichnam der alten Frau in einen Leichensack und hoben ihn auf eine Bahre, zwei uniformierte Polizeibeamte suchten nach Fingerabdrücken, und ein Fotograf machte Aufnahmen vom Tatort. Es schienen Welten zwischen diesen Aktivitäten und den mittelalterlichen magischen Werkzeugen zu liegen, die auf dem Tisch verstreut lagen, den toten Hähnen und der düsteren, unheimlichen Atmosphäre, die das Zimmer noch vor kurzem erfüllt hatte ...
Mulder hob eine alte verkrustete Flasche mit irgendwelchen Kräutern vom Boden auf und untersuchte sie. Er nahm den Verschluß ab und schnüffelte daran. Als Scully herankam, stand er auf.
„Haben Sie mit Charlie geredet?" fragte er.
„Er sagt, er kann sich an nichts erinnern", erwiderte Scully. „Nach dem vorläufigen Bericht des Leichenbeschauers ist die alte Frau an einem Herzanfall gestorben. Aber diese Wunden, Mulder ... ich könnte schwören, daß ihr die Augen ausgehackt wurden."
„Nun, auf dem Fußboden unter ihrer Leiche war wieder diese Asche, Scully. Und schauen Sie sich das hier an!"
Er zeigte ihr das Kräutergefäß, das er aus Gewohnheit mit einem Latex-Handschuh umwickelt hatte, um keine Fingerabdrücke zu verwischen.
„Was ist das?"
„Es ist Beifuß. Ich glaube, das ist ein rituelles Kraut."
„Kann das ein Ritualmord gewesen sein?" fragte Scully. Gewisse Elemente dieses Falles wollten nicht mehr so recht zu ihrer Münchhausen-Theorie passen.
„Nein", sagte Mulder mit Bestimmtheit. „Das umgekehrte Hakenkreuz am Fenster, das rote Band um Charlies Handgelenk ... das sind alles Schutzvorkehrungen."
„Schutz wovor?"
„Keine Ahnung. Aber ich glaube, die alte Frau wußte, daß ihre Familie in Schwierigkeiten war, und diese Männer vollzogen ein Ritual, um ihr zu helfen."
Er hielt inne, als sich von unten Maggies Stimme vernehmen ließ. Sie klang zornig und laut. Sie sprach zuerst Rumänisch, dann, mit noch mehr Nachdruck, Englisch. „Ich will Sie nicht mehr in meinem Haus sehen!"
Scully sah Mulder an, und beide gingen zur Tür. Die Polizeibeamten folgten ihnen. Es klang, als ob sich unten Ärger zusammenbraute.
Vom Treppenabsatz aus sahen sie Maggie dem Ältesten gegenüberstehen, der seinen weißen Bart vorreckte und mit kräftiger, durchdringender Stimme auf sie einredete. Zwei weitere Männer in schwarzen Anzügen standen hinter ihm und machten ebenso ernste Gesichter. Der alte Mann sprach Rumänisch und umklammerte mit einer seiner knorrigen Hände Maggies Arm, als wollte er sie von irgend etwas überzeugen.
„Es gibt noch mehr zu tun", sagte er. „Sie müssen uns die Sache zu Ende bringen lassen! Es besteht Gefahr ..."
Maggie antwortete auf Englisch, als ob sie glaubte, durch den Gebrauch dieser Sprache die Macht des alten Mannes brechen zu können.
„Ich halte aber nicht das geringste von Ihrem Aberglauben! Und jetzt verschwinden Sie! Sofort!"
Der Älteste starrte sie an, dann bemerkte er die FBI-Agenten und die Polizisten, blickte einen Moment zu ihnen empor und sah Mulder an. Ihre Blicke trafen sich, dann wandte sich der Älteste um. Die anderen dunklen Männer gingen voraus.
„Mrs. Holvey?" fragte Scully und kam die Treppe hinab.
„Es ist schon gut", versicherte ihnen Maggie, als sie die Hüter des Gesetzes und der Ordnung zur ihrer Unterstützung herabsteigen sah.
„Wer waren diese Männer?" fragte Mulder und sah den drei Gestalten durch die offene Tür nach, während sie zu ihrem Wagen gingen.
„Das sind die Calusari", sagte Maggie. Es klang wie „Kaluschari". „In Rumänien sind sie verantwortlich für den korrekten Vollzug heiliger Riten."
„Was hat er gesagt?"
„Er sagte, es ist noch nicht vorbei", erwiderte Maggie. Sie hielt inne und tat einen langen, tiefen Atemzug.
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