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Akunin, Boris - Pelagia 01

Akunin, Boris - Pelagia 01

Titel: Akunin, Boris - Pelagia 01 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pelagia und die weissen Hunde
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Minuten hier gegangen waren, hatte nichts dort gelegen.
    Pelagia beschleunigte den Schritt, um die interessante Erscheinung aus der Nähe zu betrachten, erreichte die Stelle und hockte sich hin.
    Merkwürdig: ein großes weißes Tuch und darauf ein Buch in schwarzem Ledereinband. Sie nahm es in die Hand – ein Gebetbuch. Ein ganz gewöhnliches Gebetbuch, wie es sie überall gab. Na so was!
    Pelagia wollte nachsehen, ob zwischen den Seiten etwas steckte, doch da hörte sie hinter sich ein Rascheln. Zum Umdrehen kam sie nicht mehr, jemand stülpte ihr einen Sack über den Kopf, der an den Wangen scheuerte. Noch begriff sie nichts, vor Überraschung stieß sie einen Schrei aus, verschluckte sich und krächzte – um den Sack wurde eine Schlinge zusammengezogen. Da erfasste sie tödliches Entsetzen. Sie zappelte, tastete über das Sacktuch und den derben Strick. Aber starke Arme packten sie, sie konnte sich nicht losreißen noch die Schlinge lockern. Jemand atmete ihr von hinten laut und abgerissen ins rechte Ohr, sie jedoch bekam keine Luft.
    Sie versuchte, mit ihrer schwachen Faust nach hinten zu schlagen, doch das war wirkungslos, denn sie konnte nicht ausholen. Sie stieß mit dem Fuß und traf auch, aber kaum spürbar, ihre Kutte milderte den Stoß.
    Als es ihr schon in den Ohren summte und der schwarze Strudel sie immer stärker in sich hineinzog, riss sie das Strickzeug aus der Gürteltasche, fasste die Stricknadeln fest und stieß sie in etwas Weiches – einmal, zweimal.
    »Aaah!«
    Ein tiefes Gebrüll, der Griff lockerte sich. Noch einmal stieß Pelagia mit den Nadeln zu, doch diesmal schon ins Leere.
    Niemand hielt sie mehr fest, niemand presste ihr die Armbeuge auf die Kehle. Sie plumpste auf die Knie, riss die verdammte Schlinge auf, zog den Sack über den Kopf und schnappte röchelnd nach Luft.
    »Mutter . . . Gottes«, murmelte sie, »unsere . . . liebe Frau . . . schütze uns vor den sichtbaren . . . und unsichtbaren Feinden . . .«
    Als ihr ein wenig klar vor den Augen wurde, sah sie sich nach allen Seiten um.
    Niemand. Aber die Spitzen der Stricknadeln waren dunkel von Blut.

ZWEITER TEIL
    Und hütet euch
vor den bösen Menschen

Die Soiree
    Jetzt überspringen wir einen guten Monat und kommen zur Auflösung unserer verworrenen Geschichte, genauer, zum Anfang dieser Auflösung, der zusammenfiel mit einer Abendgesellschaft für geladene Gäste im Hause von Olimpiada Saweljewna Schestago. Die Postmeistersgattin selbst bevorzugte für dieses Fest zu Ehren der modernen Kunst den klangvollen Namen Soiree, und so möge es denn auch hier so heißen, zumal diese »Soiree« in Sawolshsk nicht so bald in Vergessenheit geraten dürfte.
    Was den hier übersprungenen Monat angeht, so kann man nicht sagen, dass in dieser Zeit rein gar nichts vorgefallen wäre, im Gegenteil, es war sehr viel vorgefallen, aber alle diese Ereignisse hatten keinen direkten Bezug zu unserer Erzählung, darum streifen wir sie nur, gehen, wie die Alten sagten, »leichten Fußes« darüber hin.
    Der bescheidene Name unseres Gouvernements erregte Aufsehen in ganz Russland und über die Grenzen hinaus. Es verging kaum ein Tag, an dem die Zeitungen der Hauptstadt nicht über uns schrieben, und sie teilten sich in zwei Lager: Die Anhänger des einen behaupteten, die Region Sawolshsk sei Schauplatz einer neuen Schlacht auf dem Kulikowo-Feld (In dieser Schlacht schlug 1380 ein russisches Heer unter Dmitri Donskoi die Tataren unter Mamai. D.Ü.) , in der ein heiliger Kampf geführt werde für Russland, den Glauben und die christliche Kirche. Die Opponenten dagegen sahen in dem Geschehen mittelalterliches Dunkelmännertum und eine neue Inquisition. Selbst die Londoner »Times« schrieb, wenngleich nicht auf der ersten und nicht auf der zweiten Seite, dass im Russischen Imperium, in einem Krähwinkel namens Zawolger (sic!), Fälle von Menschenopfern aufgedeckt worden seien, dass aus diesem Anlass der Zar einen Kommissar entsandt und das ganze Gebiet seiner Zwangsverwaltung unterstellt habe.
    Nun, das mit der Zwangsverwaltung war eine Lüge der Engländer, aber die Dinge liefen in der Tat so, dass einem der Kopf schwirrte. Wladimir Bubenzow, der aus den höchsten Sphären Zuspruch erhalten hatte, entfaltete die Untersuchung im Falle der Köpfe (genauer, ihres Fehlens) mit wahrhaft napoleonischem Schwung. Es wurde eine Außerordentliche Kommission in Sachen Menschenopfer ins Leben gerufen, deren Leitung Bubenzow persönlich übernahm; sie bestand aus

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