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Akunin, Boris - Pelagia 01

Akunin, Boris - Pelagia 01

Titel: Akunin, Boris - Pelagia 01 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pelagia und die weissen Hunde
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Die Popen verloren die Lust am feinen Essen und am weichen Schlafen – das war ihre Sache. Und dass sie in den Kirchen viel über Tugend und Redlichkeit sprachen, war ja ihre Pflicht. Wer hörte den Langmähnigen schon richtig zu? Doch allmählich festigte sich die Autorität der Geistlichen, und die Kirchen waren viel besser besucht als früher.
    Mitrofanis Beziehungen zur Hauptstadt hatten zudem bewirkt, dass der alte Gouverneur in den Ruhestand geschickt wurde; mit ihm hatte der Bischof ernsthafte Konflikte gehabt. Und es kam der neue, Baron Anton Antonowitsch von Gaggenau, damals knapp dreißig Jahre alt. Er war flexibel, energiegeladen, europäisch und ein Gerechtigkeitsfanatiker.
    Der Baron schlug sich mit den örtlichen Sitten herum, biss sich an dieser Mauer die Zähne aus und verfiel aus lauter Verzweiflung in administrative Strenge, die bekanntlich alle Übel nur vergrößert. Gottlob war er nicht dumm, obwohl er ein Deutscher war – und er suchte beim Bischof Rat und Belehrung. Wie brachte Mitrofani es fertig, seine geistliche Behörde so zu lenken, dass alles anständig zuging, nicht wie bei anderen Bischöfen in den Gouvernements?
    Der Bischof entgegnete, das sei ganz einfach: Man müsse weniger lenken, dann gehe alles ganz von selbst, nur eine feste Basis müsse man legen.
    Wie denn, widersprach der junge Baron hitzig, wenn das Volk so verroht und verdorben sei.
    Die Menschen seien verschieden, es gebe gute und schlechte, belehrte ihn der Bischof, doch größtenteils seien sie weder so noch so, sondern glichen Fröschen, welche die Temperatur des sie umgebenden Milieus annähmen. Man müsse dafür sorgen, dass sich das Klima im Gouvernement erwärme und verbessere, dann würden auch die Menschen sich bessern. Dies sei die einzige Pflicht der Macht, das rechte Klima zu schaffen, um alles Übrige kümmere sich Gott der Herr.
    »Aber wie kann man es erwärmen, das Klima hier?«, suchte der Gouverneur zu verstehen.
    »Man muss den Menschen Würde einpflanzen. Sie sollen sich selbst und andere achten. Ein Mensch mit Würde wird nicht stehlen, nicht kriechen, nicht betrügen, das empfände er als schändlich.«
    Hier war der Baron von dem Bischof beinahe enttäuscht, er machte sogar eine wegwerfende Handbewegung.
    »Ach, Bischöfliche Gnaden, Sie sind ein Idealist. Wir sind doch hier nicht in der Schweiz, sondern in Russland. Ist es etwa lange her, dass hier die Bauern stückweise verkauft wurden wie Vieh? Wo soll da Würde herkommen? Das Gedeihen dieses zarten Pflänzchens dauert Jahrhunderte.«
    Mitrofani, der zu dieser Zeit ja noch jünger war und eine Schwäche für rhetorische Effekte hatte, antwortete bündig und belehrend nach antiker Manier:
    »Gesetzlichkeit, Sattheit, Aufklärung. Sonst nichts.«
    »Ach, Bischöfliche Gnaden, ich plage mich ja ab für die Einhaltung der Gesetzlichkeit, aber es ist zwecklos! Niemand will nach dem Gesetz leben – nicht die unten und nicht die oben.«
    »Und das wird auch so bleiben. Die Menschen halten sich nur an solche Gesetze, die vernünftig und für die Mehrheit vorteilhaft sind. Ein kluger Gesetzgeber gleicht einem erfahrenen Gärtner im öffentlichen Park. Wenn der seinen Rasen gesät hat, legt er nicht gleich Gehwege an, sondern schaut erst mal, wo es für die Leute am bequemsten ist zu gehen, und dort pflastert er Wege.«
    »Ja, ein kluger Gärtner.« Der Baron senkte die Stimme. »Aber bei uns in Russland gibt’s alle möglichen Gesetze. Nicht Sie und ich denken sie uns aus, dafür sind die höchsten Instanzen da. Doch die Einhaltung dieser Gesetze zu überwachen ist mir aufgegeben.«
    Der Bischof schmunzelte.
    »Es gibt das göttliche und das menschliche Gesetz. Und einhalten muss man nur diejenigen menschlichen Gesetze, die den göttlichen nicht zuwiderlaufen.«
    Der Gouverneur zuckte die Achseln.
    »Erlauben Sie, das begreife ich nicht. Wie Sie wissen, bin ich ein Deutscher. Für mich gilt: Gesetz ist Gesetz.«
    »Darum bin ich Ihnen ja beigegeben«, antwortete Mitrofani freundlich dem begriffsstutzigen Gouverneur. »Sie, mein Herr, werden mich fragen, welches Gesetz von Gott ist und welches vom Bösen. Ich werde es Ihnen erklären.«
    Und er erklärte es, doch diese Erklärung dauerte nicht eine oder zwei Stunden, sondern viel länger, und die ausgiebigen Gespräche mit dem Bischof wurden dem jungen Gouverneur mit der Zeit zur festen Gewohnheit.
    Eine allgemeine Folge dieser Gespräche bestand darin, dass sich das Leben im Transwolgaland allmählich,

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