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Akunin, Boris - Pelagia 01

Akunin, Boris - Pelagia 01

Titel: Akunin, Boris - Pelagia 01 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pelagia und die weissen Hunde
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den von Petersburg hergeschickten Ermittlern und etlichen Untersuchungsführern und Polizeibeamten der Provinz, und Bubenzow suchte jeden einzelnen persönlich aus. Die Kommission unterstand weder dem Gouverneur noch dem Bezirksstaatsanwalt und war ihnen nicht rechenschaftspflichtig.
    Weitere Leichen wurden zum Glück nicht gefunden, aber die Polizei verhaftete einige Syten, und einer der Festgenommenen schien geständig: Hinter den menschenleeren Wolotschajewer Sümpfen, in den schwarzen Wäldern gebe es eine Lichtung, auf der in der Nacht zum Freitag für Schischiga Feuer angezündet und Säcke mit Opfergaben gebracht würden, doch was die enthielten, wüssten nur die Ältesten.
    Der wackere Bubenzow rüstete eine Expedition aus und übernahm selbst die Leitung. Er durchstreifte tagelang Sümpfe und Dickichte und entdeckte tatsächlich eine verdächtige Lichtung, auf der es zwar keinen steinernen Götzen gab, wohl aber schwarze Spuren von Lagerfeuern und Tierknochen. Im nächstgelegenen Sytendorf verhaftete er den Starost und ein altes Männlein, das angeblich ein Schamane war. Die beiden wurden in einen Leiterwagen gesetzt und über den Knüppeldamm abtransportiert, aber auf einer Insel mitten im Sumpf überfielen sytische Bauern mit Knüppeln und Messern den Konvoi, um die beiden Ältesten zu befreien. Die Leibwächter Bubenzows gaben Fersengeld, und Selig sprang vor Angst in den Sumpf, in dem er ums Haar versunken wäre, aber der Inspektor selbst war keiner von der zaghaften Sorte: Er schoss einen der Angreifer tot, und zwei weitere erstach der Tscherkesse mit seinem furchtbaren Dolch, die übrigen entflohen.
    Später kehrte Bubenzow mit einem Kommando Soldaten in das Dorf zurück, aber die Häuser waren leer – die Syten hatten sie verlassen und waren tiefer in den Wald gezogen. Bubenzows Heldentat wurde in allen Zeitungen gefeiert, auch in den Illustrierten, die ihn als Recken mit Schnauzbart und Adlernase abbildeten, vom Zaren bekam der Held den Annen-Orden und von Konstantin Petrowitsch ein Lob, dem Kenner mehr Gewicht beimaßen als dem Orden.
    Im Gouvernement schienen alle verrückt geworden zu sein. Bei den Waldsyten waren solche Untaten noch nie vorgekommen. Sie hatten selbst in der Zeit Pugatschows (Pugatschow, Jemeljan (1742-1775) - Anführer eines Bauernaufstands; Michelson, Iwan (1740-1807) - General, schlug 1773 den Pugatschow-Aufstand nieder. D.Ü.) nicht rebelliert, sondern Michelson als Führer gedient – was hatte sie jetzt auf gehetzt?
    Manche sagten, Bubenzow habe sie gegen sich aufgebracht, als er ihre angesehenen Ältesten gefesselt auf den schmutzigen Leiterwagen werfen ließ, aber viele, sehr viele, urteilten anders: Recht habe der scharfsichtige Inspektor gehabt, und in der Wildnis hausten tatsächlich schlimme Teufel.
    Unruhe erfasste das Transwolgaland. Die Leute befuhren die Waldwege nur noch in Gruppen, und das in unserem stillen Gouvernement, wo seit Jahren kein Mensch mehr an solche Vorsichtsmaßnahmen gedacht hatte.
    Bubenzow reiste mit einer bewaffneten Eskorte, besuchte eigenmächtig die Kreisstädte, verlangte Rechenschaft von Stadthauptleuten, Militärchefs und Kreisrichtern, und alle fügten sich ihm.
    Solch eine Doppelherrschaft war bei uns entstanden. Was Wunder? Der Bischof war durch die Untaten der Heiden in den Augen der Kirchenbehörden kompromittiert, und viele Geistliche, die ihren Mantel nach dem Wind hängten, antichambrierten nicht mehr auf dem Klosterhof beim Bischof, sondern im Hotel »Zum Großfürsten« bei Bubenzow. Die administrative Macht stand auch nicht mehr auf unerschütterlich festen Beinen. Polizeimeister Lagrange zum Beispiel hatte zwar dem Gouverneur noch nicht den Gehorsam aufgekündigt, aber er lief mit jeder Weisung des Herrn von Gaggenau, selbst wenn es um Bagatellen ging wie die Einführung von Nummern für Droschken, erst mal zwecks Rückversicherung zum Synodalinspektor. Lagrange erklärte allen, der Baron sitze die letzten Tage auf dem Stuhl des Gouverneurs, und im Kreise von Freunden und Untergebenen ließ er gar durchblicken, zum nächsten Gouverneur von Sawolshsk werde niemand anders ernannt als er, Felix Lagrange.
    In diesem letzten Monat war das ganze Gebäude unserer Lebensordnung im Gouvernement in eine Schieflage geraten, obwohl es doch wohl fest gemauert war, mit Verstand, nicht vom Dach nach unten wie in anderen russischen Gegenden, sondern vom Fundament nach oben. Aber diese Allegorie ist sehr spitzfindig und bedarf erklärender

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